Otto Schmidt Verlag

BGH v. 25.2.2022 - V ZR 65/21

Zum Anspruch auf Abberufung des Verwalters infolge des WEMoG

Für bis zum 30.11.2020 anhängig gewordene Beschlussersetzungsklagen gilt in analoger Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG weiter das bisherige Verfahrensrecht; insbesondere bleiben die übrigen Wohnungseigentümer die richtigen Klagegegner. Auch nach dem seit Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht besteht ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters nur dann, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint.

Der Sachverhalt:
Die Kläger und die Beklagten zu 1) bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) über eine Mehrhausanlage. Die Jahresabrechnungen wurden in der Vergangenheit von der Verwalterin früher getrennt nach Häuserkomplexen erstellt und von den Wohnungseigentümern der jeweiligen Häuser genehmigt. Auch in der Versammlung vom 4.12.2018, zu der lediglich die Wohnungseigentümer eines Häuserkomplexes geladen waren, wurde so verfahren und die Jahresabrechnung für 2017 für diesen Häuserkomplex genehmigt. Dies zog ein Beschlussmängelverfahren nach sich (Vorprozess).

Das AG stellte mit Urteil vom 31.7.2019 die Nichtigkeit des Beschlusses mit der Begründung fest, dass es mangels einer Bildung von Untergemeinschaften an der Beschlusskompetenz fehle. Auf der Versammlung der gesamten GdWE vom 28.11.2019 wurde u.a. beschlossen, dass in den Abrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 die Kostenzuordnung „wie bisher“ erfolgen und eine neue Gesamtabrechnung in Form einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung erstellt werden solle. Der unter TOP 6.4 gestellte Antrag, die sofortige Abberufung der Verwalterin und die Kündigung des Verwaltervertrags aus wichtigen Gründen zum 31.12.2019 zu beschließen, wurde abgelehnt.

Die Kläger haben mit ihrer zunächst nur gegen die Beklagten zu 1) gerichteten, am 23.12.2019 eingegangenen Klage den Beschluss zu TOP 6.4 angefochten und zudem beantragt, den abgelehnten Beschluss durch eine in das Ermessen des Gerichts zu stellende Entscheidung dahingehend zu ersetzen, dass die Abberufung des Verwalters und Kündigung des Verwaltervertrags erfolge. AG und LG haben die Anträge abgewiesen. Auf die Revision der Kläger hat der BGH die Entscheidungen aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.

Gründe:
Die gegen die Beklagten zu 1) gerichtete Klage ist nach dem Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 weiterhin zulässig. Für bis zum 30.11.2020 anhängig gewordene Beschlussersetzungsklagen gilt in analoger Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG weiter das bisherige Verfahrensrecht; insbesondere bleiben die übrigen Wohnungseigentümer die richtigen Klagegegner.

In der Sache haben die Vorinstanzen allerdings rechtsfehlerhaft einen Abberufungsanspruch der Kläger verneint. Dabei ist für die im Rahmen der Beschlussersetzungsklage zu klärende Frage, ob ein Anspruch der Kläger auf Abberufung der Verwalterin besteht, auf das neue, seit dem 1.12.2020 geltende Recht abzustellen, und nicht auf das bis dahin geltende alte Recht. Denn im Rahmen der Beschlussersetzung ist rechtliche Beurteilungsgrundlage für die Prüfung, ob ein Anspruch auf die Beschlussfassung besteht, das im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung geltende Recht (vgl. Senat, Urteil v. 16.1.2009 - V ZR 74/08).

Nach bisherigem Recht hat der Senat zwar den Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters aus § 21 Abs. 4 WEG aF nicht schon dann angenommen, wenn ein wichtiger Grund i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 3 und 4 WEG aF hierfür bestand. Vielmehr hat er den Wohnungseigentümern einen Beurteilungsspielraum eingeräumt und einen Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters erst dann bejaht, wenn dieser Beurteilungsspielraum überschritten war. Das war etwa dann anzunehmen, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erschien, was der Tatrichter in umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen hatte.

Auch nach dem seit Dezember 2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht besteht ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Abberufung des Verwalters nur dann, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint. Ob ein Abberufungsanspruch gegeben ist, hat der Tatrichter auch nach neuem Recht in umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Mit welchem Gewicht länger zurückliegende Geschehnisse zu berücksichtigen sind, entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung; allgemeingültige zeitliche Grenzen, jenseits derer Pflichtverletzungen des Verwalters unbeachtlich sind, gibt es nicht. Die Annahme, dass die Ablehnung der Abberufung eines Verwalters unvertretbar ist, kann sich nämlich erst in der Gesamtschau eines neuerlichen Vorfalls mit älteren Geschehnissen ergeben oder umgekehrt kann ein neuer Vorfall einen alten in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Die erforderliche umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalles hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall allerdings nicht vorgenommen. Auch die Abweisung der Anfechtungsklage, bei der nach § 48 Abs. 5 WEG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. WEG aF die übrigen Wohnungseigentümer unverändert richtige Klagegegner sind, kann keinen Bestand haben. Anders als die Beschlussersetzungsklage ist die Anfechtungsklage nach dem zur Zeit der Beschlussfassung geltenden Recht, mithin hier nach altem Recht zu beurteilen.

Hintergrund:

Seit Dezember 2020 kann der Verwalter jederzeit abberufen werden; entgegenstehende Regelungen in der Gemeinschaftsordnung sind unwirksam geworden. Wird der Verwalter abberufen, endet der mit ihm geschlossene Vertrag spätestens sechs Monate nach der Abberufung; entgegenstehende Vereinbarungen im Verwaltervertrag sind ebenfalls unwirksam geworden.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.04.2022 10:33
Quelle: BGH online

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