Otto Schmidt Verlag

AG Hamburg v. 4.5.2022 - 49 C 438/21

Wann ist eine Eigenbedarfskündigung hinreichend begründet?

Eine Eigenbedarfskündigung ist nicht hinreichend begründet, wenn es nach Maßgabe der Begründung an einem Benötigen der Wohnung für die Bedarfsperson fehlt, weil zahlreiche andere freie Wohnungen im Haus die genannten Kriterien erfüllen und den etwaigen Bedarf hätten befriedigen können. Nachgeschobene Gründe, wie die Geschosslage, sind nicht zu berücksichtigen, sofern sie bereits zum Zeitpunkt der Kündigung gegeben gewesen sein soll. Auf die Plausibilität bei Vorhandensein eines Fahrstuhls kommt es insoweit nicht mehr an.

Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist seit dem 1.6.2019 Mieter einer Wohnung des Klägers mit einer Gesamtmietfläche von ca. 43 qm. Der Vertrag enthielt zunächst eine Befristung zum 31.5.2020, wobei der Grund der Befristung Eigenbedarf für Familienmitglieder war. Ferner sah der Vertrag zum 1.6.2020 eine Erhöhung um 25 € auf 765 € netto/kalt zzgl. Betriebskosten mit der Formulierung „bei Optionswahrnehmung“ vor.

In der Folgezeit gab es zunächst eine gerichtliche Streitigkeit zwischen den Parteien hinsichtlich der Wirksamkeit der Befristung, die dazu führte, dass das AG und LG feststellten, dass eine wirksame Befristung des Mietverhältnisses nicht vorliegt. Ferner gibt es eine Rüge des Beklagten gegenüber dem Kläger im Bezug auf eine Mietpreisüberhöhung sowie einer Instandsetzungsklage wegen überhöhtem Bleigehalt im Trinkwasser der streitbefangenen Wohnung. Im Hause waren in den letzten Jahren diverse Wohnungen mit einer Größe von 43 oder 65 qm frei geworden, wobei eine Vermietung häufig befristet erfolgte. So stand etwa eine Wohnung im zweiten Obergeschoss rechts mit 65 qm etwa sechs Monate leer und wurde im August 2021 neu vermietet. Anschließend wurde sie im Januar 2022 mit einem befristeten Mietvertrag wegen Eigenbedarfs anderweitig vermietet.

Mit Schreiben vom 19.8.2021 kündigte der Kläger gegenüber dem Beklagten das Mietverhältnis fristgemäß zum 30.11.2021 wegen Eigenbedarfs für seinen Neffen, wobei die Kündigung damit begründet wurde, dass der Neffe ab Juni 2020 seinen Wohnsitz aus beruflichen Gründen von Sylt nach Hamburg verlegen musste. Die derzeit von ihm bewohnte Wohnung diene nur der vorübergehenden Unterkunft und sei für einen Alleinstehenden zu groß und im Unterhalt zu teuer. Eine andere passende Wohnung sehe dem Kläger nicht zur Verfügung.

Der Beklagte war der Ansicht, dass Hintergrund der vorliegenden Räumungsklage die anderweitigen Streitigkeiten und zwar insbesondere die Instandsetzungsklage wegen einer erhöhten Bleibelastung im Trinkwasser sei. Im Übrigen hätte der Neffe des Klägers hinreichend Gelegenheit gehabt, eine kleinere Wohnung im Haus zu beziehen.

Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen.

Die Gründe:
Der Räumungsanspruch des Klägers aus den §§ 546 Abs. 1, 573 Abs. 2 Ziff. 2, Abs. 3 BGB besteht nicht, da es an einer wirksamen Kündigung i.S.v. § 573 Abs. 3 BGB fehlt.

Eine Eigenbedarfskündigung ist hinreichend begründet, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Vermieter die Räume einer Bedarfsperson überlassen will und hierfür vernünftige Gründe vorliegen. Danach muss der Vermieter diejenigen Tatsachen mitteilen, aus denen sich das Nutzungsinteresse ergibt, so genügt etwa die Angabe „wegen Eigenbedarfs“ nicht aus. Der Mieter muss insoweit aufgrund der im Kündigungsschreiben mitgeteilten Gründe in der Lage sein, die Erfolgsaussicht der Kündigung überschlägig zu prüfen. Diesen Anforderungen genügte die vom Kläger erklärte Eigenbedarfskündigung allerdings nicht.

Nach Maßgabe der im Kündigungsschreiben angeführten Gründe besteht ein Bedarf für den Neffen des Klägers nicht. Die Kündigung wurde allein darauf gestützt, dass die derzeitige Wohnung zu groß und zu teuer sei. Dabei lässt die Kündigung des Klägers unerwähnt, dass sein Neffe bereits im Haus wohnt, d.h. letztlich die Höhe des Mietzinses vom Kläger selbst festgesetzt worden ist. Auch die Größe der Wohnung bleibt, obwohl es sich durchgängig um Wohnungen mit recht ähnlicher Wohnungsgröße handelt, unerwähnt.

Hinzukommt, dass das Haus nach dem Vortrag des Klägers über einen Fahrstuhl verfügt, der Neffe des Klägers keiner Bewegungseinschränkung unterworfen sein soll und insoweit auch die Nutzung der monatelangen freien Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoss ohne Weiteres dem Neffen des Klägers möglich gewesen wären. Soweit sich der Kläger später hinsichtlich des Bedarfs des Neffen auf die Geschosslage bezog, vermochte dies letztlich nicht berücksichtigt zu werden, da dies als Kündigungsbegründung explizit nicht angegeben worden ist, vgl. § 573 Abs. 3 BGB.

Mehr zum Thema:

Beiträge für die Beratungspraxis
RA FAMuWR Norbert Monschau
Die Eigenbedarfskündigung – Teil I
Fundierte Begründung und effektive Verteidigung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung
MietRB 2021, 339

Beiträge für die Beratungspraxis
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.05.2022 10:40
Quelle: Landesrecht Hamburg

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