Otto Schmidt Verlag

AG Hamburg v. 29.4.2022 - 48 C 481/19

Fingierter Rückerhalt und Verjährungsbeginn bei Ausscheiden und Hinzutreten einzelner Parteien einer WG

Begibt sich der Vermieter trotz Beendigung des Mietverhältnisses freiwillig der Möglichkeit, nach Vertragsende die unmittelbare Sachherrschaft an der Mietsache zu erlangen, so muss er sich so behandeln lassen, als ob er die Mietsache zurückerhalten und damit die Verjährung zu laufen begonnen hätte (fingierter Rückerhalt). Die Grundsätze fingierten Rückerhalts mit dadurch ausgelöstem Verjährungsbeginn sind auch dann anzuwenden, wenn bei Neubegründung eines Mietverhältnisses auf der Seite der Mietergemeinschaft (WG) nur einzelne Parteien ausscheiden und neu hinzutreten.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte am 24.3.2017 mit dem Beklagten zu 1) sowie den zwei weiteren Mitmietern einen Wohnraummietvertrag abgeschlossen und die Wohnung am 31.3.2017 den Mietern zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassen. Dieser Mietvertrag wurde von allen drei Mietern gekündigt. Am 6.2.2018 unterzeichneten die Klägerin als Vermieterin sowie die Beklagten zu 1) und 2) zusammen mit dem weiteren Mitmieter E. ein weiteres, mit „Mietvertrag für Wohnraum“ überschriebenes Dokument.

Am 3.7.2018 unterzeichneten die Parteien sowie E. ein mit „Nachtrag zum Mietvertrag vom 6.2.2018“ überschriebenes Dokument. Darin heißt es u.a.:

„An Stelle des ausziehenden Mieters tritt mit allen Rechten und Pflichten L. [Beklagter zu 3] [...] voll umfänglich in den Mietvertrag vom 6.2.2017 ein. Insbesondere wird auch auf das Übergabeprotokoll vom 31.3.2017 hingewiesen. [...] Anlagen dieses Mietvertragnachtrags sind - der bestehende Mietvertrag vom 6.2.2018 sowie das - Übergabeprotokoll vom 31.3.2017.“

Unter dem 3.7.2018 wurde unter Bezugnahme auf das Übergabeprotokoll vom 31.3.2017 handschriftlich vermerkt und vom Beklagten zu 3) unterschrieben.

Die Klägerin behauptete nach Rückgabe der Wohnung u.a., der in den Wohnräumen befindliche Dielenfußboden sei bei Übergabe der Wohnung frisch abgeschliffen und lackiert gewesen. Bei Rückgabe der Wohnung habe der Bodenbelag an verschiedenen Stellen Schäden an der Substanz in Form von teils tiefen, teils langen Kratzern aufgewiesen. Es folgte eine lange Liste an vorgetragenen Schäden. Letztlich rechnete die Klägerin die von ihr geltend gemachten Schadensersatzansprüche i.H.v. insgesamt 11.646 € gegen die von den Beklagten von den jeweiligen Vormietern abgelöste Kaution i.H.v. 3.750 € auf und machte den Restbetrag von 7.896 € gerichtlich gelten.

Die Beklagten erhoben den Einwand der Verjährung hinsichtlich etwaiger Forderungen aus dem Mietverhältnis vom 24.3.2017.

Das AG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Ansprüche der Klägerin ergeben sich weder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 546 Abs. 1 BGB noch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB noch aus § 823 BGB noch aus vertraglicher Haftungsübernahme noch aus sonstigen Rechtsgrundlagen.

Nach dem Vortrag der Klägerin wurden die behaupteten Beschädigungen am Dielenboden, an den Türen, Zargen, Fenstern, Rahmen, Laibungen etc. der Wohnung möglicherweise schon während des am 24.3.2017 begründeten Mietverhältnisses (im Folgenden: „erstes Mietverhältnis“) verursacht. Soweit die Klägerin Ansprüche gegen den Beklagten zu 1) wegen Beschädigung der Mietsache geltend macht, sind solche jedenfalls verjährt.

Bei dem ersten Mietverhältnis und dem zweiten Mietverhältnis handelt es sich um jeweils eigenständige Verträge, die rechtlich voneinander getrennt zu beurteilen sind. Es handelt sich insoweit nicht um ein einheitliches Rechtsverhältnis mit fortgesetzten Rechten und Pflichten, bei denen es lediglich zum Wechsel von einzelnen Vertragsparteien gekommen wäre.

Scheiden aus einem gemeinschaftlichen Mietverhältnis, das als Wohngemeinschaft angelegt ist, auf Mieterseite Parteien aus und/oder treten neue hinzu, so kommt es für die Frage, ob es aus diesem Anlass zu einer Beendigung des ursprünglichen Mietvertrages und einer Begründung eines neuen, rechtlich eigenständigen Mietverhältnisses gekommen ist, auf die Umstände des Einzelfalles an. Bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung spricht für die Neubegründung eines rechtlich eigenständigen Mietverhältnisses, wenn die Parteien eine eigenständige Vertragsurkunde errichten, die sich in wesentlichen Punkten von den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrages unterscheidet, und dem Abschluss des neuen Vertrages eine Kündigung des ursprünglichen Mietvertrages vorangegangen ist.

Das zweite Mietverhältnis nahm seinen rechtlich eigenständigen Anfang mit Begründung desselben durch Unterzeichnung des entsprechenden Vertragsdokuments am 6.2.2018. Für eine solche Betrachtung spricht zuallererst, dass an diesem Tag eine eigenständige Vertragsurkunde errichtet wurde. Der Vertragstext ist in sich geschlossen und enthält keinen Hinweis, der darauf hindeuten würde, dass lediglich eine Fortsetzung des ersten Mietverhältnisses beabsichtigt wäre.

Soweit etwaige Ansprüche aus dem ersten Mietverhältnis herzuleiten wären, sind diese gem. §§ 214 Abs. 1, 548 Abs. 1 BGB verjährt. Zwar erfordert § 548 Abs. 1 S. 2 BGB für den Beginn der Verjährung grundsätzlich den Zurückerhalt der Mietsache durch den Vermieter im Sinne eines tatsächlichen Besitzwechsels. Es ist indes nicht stets auf das Erfordernis der Besitzerlangung durch den Vermieter abzustellen. Begibt sich der Vermieter trotz Beendigung des Mietverhältnisses freiwillig der Möglichkeit, nach Vertragsende die unmittelbare Sachherrschaft an der Mietsache zu erlangen, so muss er sich so behandeln lassen, als ob er die Mietsache zurückerhalten und damit die Verjährung zu laufen begonnen hätte (fingierter Rückerhalt). Die Grundsätze fingierten Rückerhalts mit dadurch ausgelöstem Verjährungsbeginn sind auch dann anzuwenden, wenn bei Neubegründung eines Mietverhältnisses auf der Seite der Mietergemeinschaft (WG) nur einzelne Parteien ausscheiden und neu hinzutreten.

Die in AGB enthaltene Klausel zu Schönheitsreparaturen mit dem Wortlaut „die Schönheitsreparaturen umfassen das Tapezieren oder Anstreichen der Wände und Decken, das Lackieren der Heizkörper einschließlich Heizrohre, offen liegender Versorgungsleitungen für Wasser und Gas, der Innentüren sowie der Fenster und der Außentüren von Innen und das Reinigen der Fußböden.“ ist wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Es besteht keine allgemeine Vermutung dahingehend, dass die wortwörtliche Übernahme der Formulierung von § 28 Abs. 4 der Zweiten Berechnungsverordnung AGB-rechtlich nicht zu beanstanden wäre.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.05.2022 15:04
Quelle: Landesrecht Hamburg

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