Otto Schmidt Verlag

BGH v. 21.6.2022 - VIII ZR 285/21

Mietminderung: Auch vorausgegangener Vortrag der Partei kann Bestreiten nachfolgender Behauptungen der Gegenseite sein

Auch in einem vorausgegangenen Vortrag der Partei kann ein Bestreiten nachfolgender Behauptungen der Gegenseite liegen, wenn jener Vortrag diesen Behauptungen widerspricht.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten nach Kündigung des Mietvertrags die Räumung und Herausgabe einer Wohnung sowie Zahlung rückständiger Miete, bzw. Nutzungsentschädigung. Die Parteien schlossen am 17. September 2019 einen Mietvertrag über eine Wohnung der Klägerin in Berlin. Der Beklagte schuldete der Klägerin eine mtl. Miete i.H.v. rd. 1.700 € brutto (Nettomiete rd. 1.300 € zzgl. Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen i.H.v. insgesamt rd. 400 €). Mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 5. November 2019 rügte der Beklagte u.a. den mangelhaften Zustand der Fenster in der Wohnung sowie eine in den Wohnräumen vorhandene Geruchsbelästigung. Er kündigte an, deshalb und wegen weiterer Mängel der Wohnung ab November 2019 bis zu einer Mängelbeseitigung lediglich die hälftige Miete zu zahlen.

Nachdem der Beklagte auf die Mieten für die Monate November 2019 bis einschließlich Februar 2020 insgesamt lediglich rd. 1.300 € gezahlt hatte, kündigte die Klägerin, welche die Voraussetzungen einer Mietminderung als nicht gegeben ansah, am 6.2.2020 das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs außerordentlich und hilfsweise ordentlich. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie Zahlung rückständiger Miete bzw. Nutzungsentschädigung für die Monate November 2019 bis September 2020 i.H.v. zuletzt insgesamt rd. 13.600 € nebst Zinsen. Der Beklagte berief sich auf Minderung und auf ein Zurückbehaltungsrecht an der Miete für die Zeit ab November 2019 bis zur Beseitigung der Mängel.

AG und LG gaben der Klage antragsgemäß statt. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Das LG hat den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat bezogen auf den Vortrag des Beklagten zum Vorhandensein von Mängeln der Mietsache die Vorschrift des § 138 Abs. 3 ZPO in offenkundig fehlerhafter Weise angewendet, indem es den Inhalt der Gegenäußerung der Klägerin zu dem vom Beklagten behaupteten Zustand der Fenster und zu einer Geruchsbelästigung in den Wohnräumen als zugestanden angesehen und seiner Entscheidung als unstreitigen Tatsachenvortrag zugrunde gelegt hat, und es hat in der Folge versäumt, die von dem Beklagten für seine Behauptungen angebotenen Beweise zu erheben.

Der Beklagte hatte sich bereits vor der Stellungnahme der Klägerin zu sämtlichen Tatsachen erklärt, aus welchen sich im Falle ihres Beweises ein mangelhafter Zustand der Fenster während der Mietzeit ergibt und welche für die von ihm insoweit geltend gemachte Minderung der Miete gem. § 536 Abs. 1 BGB rechtlich von Bedeutung sind. Über diesen Tatsachenvortrag ging die Gegenerklärung der Klägerin nicht hinaus. Soweit ihr Vorbringen zu einem mangelfreien Zustand der Fenster bei Wohnungsübergabe zugleich die Behauptung umfasst haben sollte, der Beklagte habe den gerügten Zustand der Fenster zu einem späteren Zeitpunkt selbst verursacht, hätte eine Erklärung des Beklagten auch hierzu vorgelegen. Denn einer entsprechenden Behauptung der Klägerin stünde der in der wenige Wochen nach Wohnungsübergabe erfolgten Mängelanzeige vom 5. November 2019 enthaltene und in der Klageerwiderung wiederholte Vortrag des Beklagten entgegen, wonach die Fenster in der Wohnung "veraltet" seien und sich nicht bzw. nur schlecht öffnen und schließen ließen.

Da sich ein Bestreiten auch aus der Gegendarstellung zu einem Vortrag ergeben kann, müssen Tatsachen, die mit der Gegenerklärung unvereinbar sind, regelmäßig nicht gesondert für sich (ausdrücklich) bestritten werden. Dabei kann auch in einem vorausgegangenen Vortrag der Partei ein Bestreiten nachfolgender Behauptungen der Gegenseite liegen, wenn jener Vortrag diesen Behauptungen widerspricht. Ein solches konkludentes vorweggenommenes Bestreiten hindert die Anwendung der Vorschrift des § 138 Abs. 3 ZPO. Deshalb ist der gesamte Vortrag einer Partei zu berücksichtigen und daraufhin zu prüfen, ob sich aus dem Gesamtzusammenhang der Wille zu bestreiten ergibt. Einer solchen Betrachtung des Vortrags des Beklagten hat sich das LG hier dadurch gänzlich verschlossen, dass es allein an den zeitlich späteren Vortrag der Klägerin, der in der Sache die Gegenerklärung zu den vorangegangenen Tatsachenbehauptungen des Beklagten i.S.v. § 138 Abs. 2 ZPO darstellt, angeknüpft und von dem Beklagten hierzu eine zeitlich nachfolgende Äußerung erwartet hat, für die aus dessen Sicht in Anbetracht seiner zuvor erfolgten Darlegungen eine prozessuale Notwendigkeit nicht bestand. Offenkundig unrichtig ist die Anwendung von § 138 Abs. 3 ZPO durch das LG i.Ü. auch im Hinblick auf den Vortrag des Beklagten zu einer Geruchsbelästigung in der Wohnung.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO:
§ 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.07.2022 12:23
Quelle: BGH online

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