Otto Schmidt Verlag

BGH v. 20.5.2022 - V ZR 199/21

Anspruch des Grundstückseigentümers auf Duldung einer für die Grenzfeststellung erforderlichen Vermessung in der Wohnung des Nachbarn

Die in § 919 Abs. 1 BGB geregelte Mitwirkungspflicht des Nachbarn bei der Abmarkung setzt voraus, dass der Grenzverlauf festgestellt ist. Aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis kann sich ein Anspruch des Grundstückseigentümers auf Duldung einer für die Grenzfeststellung erforderlichen Vermessung in der Wohnung des Nachbarn ergeben; der Umstand, dass Wohnungen für die amtliche Vermessung nach den Bestimmungen des einschlägigen Landesvermessungsgesetzes nur mit Einwilligung des Wohnungsinhabers betreten werden dürfen, schließt dies nicht aus.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer aneinandergrenzender, in Mecklenburg-Vorpommern gelegener Grundstücke, die mit Reihenhäusern bebaut sind. Der Kläger stellte einen Bauantrag für die Errichtung eines Gebäudes an der Grundstücksgrenze. Das Bauamt verlangt hierfür die Erstellung eines amtlichen Lageplans. Einen solchen gibt es bislang nicht. Der unklare Verlauf der nicht abgemarkten gemeinsamen Grundstücksgrenze ist durch Vermessung feststellbar.

Der Kläger stellte einen Antrag auf Grenzfeststellung nach dem Gesetz über das amtliche Geoinformations- und Vermessungswesen des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Geoinformations- und Vermessungsgesetz - GeoVermG M-V) bei einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur. Für die Feststellung der Grenzpunkte bedarf es einer Messung der Wand im Haus der Beklagten, wofür deren Wohnung durch den Vermessungsingenieur kurzzeitig betreten werden muss. Die Beklagte verweigert jedoch den Zutritt in ihre Wohnung.

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Der Kläger verfolgt mit der Klage das Ziel, die Beklagte zur Duldung der Durchführung des von ihm beantragten öffentlich-rechtlichen Grenzfeststellungsverfahren zu verpflichten. Sie soll gegenüber dem Vermessungsingenieur die nach § 25 Abs. 1 Satz 3 GeoVermG M-V für das Betreten der Wohnung erforderliche Einwilligung erteilen und darüber hinaus die Durchführung der Messung ermöglichen, indem sie den Zutritt auch tatsächlich gewährt. Rechtsfehlerhaft verneint das OLG einen derartigen Anspruch des Klägers.

Im Ergebnis zu Recht geht das OLG allerdings davon aus, dass sich der Anspruch nicht aus § 919 Abs. 1 BGB ergibt. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer eines Grundstücks von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen, dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und, wenn ein Grenzzeichen verrückt worden oder unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt. Gegenstand des Abmarkungsverfahrens ist nicht die Ermittlung der Grenze, sondern allein deren Sicherung durch Kennzeichnung. Die in § 919 Abs. 1 BGB geregelte Mitwirkungspflicht des Nachbarn bei der Abmarkung setzt daher voraus, dass der Grenzverlauf festgestellt ist. So liegt es hier aber nicht, der Grenzverlauf ist vorliegend unklar. Auch § 920 BGB kann den geltend gemachten Anspruch nicht begründen. Diese Vorschrift ermöglicht dann, wenn der Grenzverlauf nicht festgestellt werden kann (Grenzverwirrung), eine richterliche Abgrenzung der Grundstücke. Die Grenze ist hier aber feststellbar. Ein Anspruch auf Duldung des Zutritts ergibt sich aus dieser Regelung ohnehin nicht.

Anders als das OLG meint, kann sich jedoch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ein Anspruch des Grundstückseigentümers auf Duldung einer für die Grenzfeststellung erforderlichen Vermessung in der Wohnung des Nachbarn ergeben; der Umstand, dass Wohnungen für die amtliche Vermessung nach den Bestimmungen des einschlägigen Landesvermessungsgesetzes nur mit Einwilligung des Wohnungsinhabers betreten werden dürfen, schließt dies nicht aus. Dem Kläger steht ein derartiger Anspruch gegen die Beklagte zu.

Rechtsfehlerhaft ist also u.a. die Ansicht des OLG, ein Anspruch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis sei bereits wegen des Einwilligungserfordernisses des § 25 Abs. 1 Satz 3 GeoVermG M-V zu verneinen. Diese Vorschrift sieht vor, dass Personen, die Aufgaben nach dem Geoinformations- und Vermessungsgesetz wahrnehmen, mithin nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GeoVermG M-V auch ein Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur, Wohnungen nur mit Einwilligung des Wohnungsinhabers betreten dürfen. Die Regelung betrifft damit das Verhältnis des Bürgers zu der Behörde, die die Vermessung gem. § 1 Abs. 1 GeoVermG M-V als amtliche Aufgabe durchführt. Ob ein privatrechtlicher Anspruch auf eine derartige Einwilligung des Nachbarn bestehen kann, ist gerade die Frage des Rechtsstreits.

Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme, dass der Beklagten eine selbstständige Verpflichtung auferlegt werden soll, von ihr mithin ein positives Handeln verlangt wird. Dies ist bei der vorzunehmenden wertenden Betrachtung nicht der Fall. Vielmehr liegt der Schwerpunkt des mit der Klage verlangten Verhaltens in der Duldung des Zutritts und der Vermessungsarbeiten. Die dafür erforderliche Einlassgewährung tritt insoweit wertungsmäßig zurück und wäre wie die Duldung - nach § 890 ZPO zu vollstrecken. Zudem hat das OLG nicht gesehen, dass nicht nur der Kläger, sondern auch die Beklagte ein objektives Interesse an der Grenzfeststellung hat. Die Feststellung einer gemeinsamen Grenze liegt im objektiven beiderseitigen Interesse der Grundstücksnachbarn. Erst durch eine Grenzfeststellung besteht Klarheit über die Eigentumsverhältnisse, die nicht nur bei einem Verkauf der Grundstücke notwendig ist, sondern auch entscheidende Bedeutung bei der Ermittlung der den jeweiligen Eigentümern zustehenden Befugnisse hat.

Der Anspruch kann danach mit der von dem OLG gegebenen Begründung nicht verneint werden. Die Würdigung, ob die Voraussetzungen für den Anspruch vorliegen, kann der Senat selbst vornehmen, weil der Sachverhalt feststeht und weitere Erkenntnisse nicht zu erwarten sind. Hiernach erfordert im konkreten Fall der Ausgleich der Interessen der Parteien, dass die Beklagte den Zutritt des Vermessungsingenieurs zum Zwecke der Vermessung in ihrer Wohnung duldet.

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Kurzbeitrag:

Nachbarrecht
MDR 2022, R235

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.08.2022 13:24
Quelle: BGH online

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