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Aktuell im MietRB

Das selbständige Beweisverfahren im WEG-Prozessrecht – praktische Fragestellungen und aktuelle Fallkonstellationen (Agatsy, MietRB 2022, 243)

Das selbstständige Beweisverfahren hat auch im WEG-Prozessrecht praktische Bedeutung. Da das selbstständige Beweisverfahren in §§ 485 ff. ZPO geregelt ist und kein normativer Verweis in §§ 43 Abs. 1, 43 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 WEG erfolgt, ist zu klären, welche „Mindestanforderungen“ gelten. Bedeutung hat das Verfahren vor allem bei der Feststellung von Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum einschließlich deren Auswirkung sowie zur Aufklärung von Störungsquellen und deren Ursachen. Die „vorgreifliche“ und notwendige Beweissicherung kann durchgeführt werden. Der Beitrag gibt einen Überblick über die praktischen Fragestellungen und aktuelle Fallkonstellationen.


I. Systematischer Überblick

1. Statthaftigkeit und praktischer Anwendungsbereich

a) Statthaftigkeit des selbständigen Beweisverfahrens

b) Sachliche und örtliche Zuständigkeit der Prozessgerichte

2. Prozessführungsbefugnis, prozessuales Ziel und Verfahrensbeteiligte

a) Prozessführungsbefugnis und prozessuales Ziel

b) Sonstige Zuständigkeiten im Innenverhältnis und gegenüber Dritten

3. Bestimmtheit der Beweisfragen und Glaubhaftmachung der Tatsachengrundlage

II. Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens

1. Vertretung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Vorbefassung

a) Vertretungsmöglichkeiten und Sonderkonstellationen

b) Vorbefassung der Eigentümerversammlung und Einbindung des Verwaltungsbeirats

2. Durchführung der sachverständlichen Beweiserhebung und Bauteilöffnung

a) Begehungs- und Betretungsrecht und Duldungspflichten

b) Bauteilöffnung und Notwendigkeit eines Substanzeingriffs

c) Streitverkündung

3. Kostenentscheidung

a) Gerichtskostenentscheidung

b) Materieller Kostenerstattungsanspruch

III. Praktische Fallgruppen

1. Störungen und Beeinträchtigungen am gemeinschaftlichen Eigentum

2. Gewährleistungsansprüche und Verjährungshemmung

3. Vorfragen von Beschlussfassungen und Schiedsabreden

IV. Fazit


I. Systematischer Überblick

1. Statthaftigkeit und praktischer Anwendungsbereich

a) Statthaftigkeit des selbständigen Beweisverfahrens


Das selbständige Beweisverfahren wird auf Antrag eines Wohnungseigentümers oder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durchgeführt. Der Antrag auf die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens folgt aus § 487 ZPO. In der Praxis ist das vom Hauptprozess unabhängige selbständige Beweisverfahren § 485 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO der häufigste Fall. Entweder wird der Zustand eines Sondereigentums oder des gemeinschaftlichen Eigentums (Var. Ziff. 1), die Ursache von Sachmängeln (Var. Ziff. 2) oder der finanzielle Aufwand der Mangelbeseitigungskosten festgestellt (Var. Ziff. 3). Beweiserheblich können Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum, Sondereigentum oder beseitigungspflichtige Störungsquellen (bei Dritten) sein. Das Verfahren ist meist die „summarische“ und prozessual gebotene Vorwegnahme des gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Allerdings dient das Verfahren keinesfalls dazu, erst die Voraussetzungen für eine Klage zu schaffen. Bei der Rechtshängigkeit der Hauptsache bleibt das selbständige Beweisverfahren solange statthaft, bis das Gericht der Hauptsache die dazugehörige Akte (Sachverständigengutachten) zur Beweisaufnahme beizieht. Bleiben Beweisfragen ungeklärt, lässt dies das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, sofern das Verfahren (noch) nicht abgeschlossen ist. Weitergehende und offene Beweisfragen muss das Prozessgericht der Hauptsache klären. In der Tatbestandsvariante des § 485 Abs. 1 ZPO wird das Verfahren neben oder außerhalb eines Hauptsacheprozesses durchgeführt. In diesem Fall müssen ein Beweismittelverlust oder eine Beweiserschwerung „drohen“. Die Tatbestandsvariante (laufender Rechtsstreit) des § 485 Abs. 1 ZPO setzt die Einwilligung des Antragsgegners voraus. Er darf anstelle der Einwilligung einen eigenen Antrag stellen sowie eine Erweiterung der Beweisfrage oder die Beiziehung eigener Beweismittel beantragen.

Beraterhinweis Das selbständige Beweisverfahren ist dem Grunde nach ein „Eilverfahren“, um zügig zentrale Beweisfragen ohne mündliche Verhandlungen oder zeitaufwendige Verhandlungstermine vorweg aufzuklären. Allerdings darf keine „Ausforschung“ betrieben werden. Da keine Schlüssigkeitsprüfung erfolgt, ist die Durchführung nur bei offensichtlicher Unzulässigkeit abzulehnen.

b) Sachliche und örtliche Zuständigkeit der Prozessgerichte

Das selbstständige Beweisverfahren ist in den §§ 43 ff. WEG nicht explizit geregelt. Sind Wohnungseigentümer und/oder die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer beteiligt, folgt die Statthaftigkeit aus (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.08.2022 13:53
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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