Otto Schmidt Verlag

AG Marl v. 18.7.2022 - 24 C 32/22

Tod der Mutter verheimlicht – Streit um Mietzins in einem makabren Fall

Dass eine Leistung nach § 362 Abs. 1 BGB dann nicht bewirkt ist, wenn der Empfänger die Geldzahlung nicht behalten darf, muss für den vorliegenden Fall der Rückschluss gezogen werden, dass durch die Lastschrifteinzüge die Mietzinszahlungen nicht nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden sind, weil die Vermieterin die eingezogenen Beträge wegen § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI nicht endgültig behalten durfte.

Der Sachverhalt:
Die Mutter des Beklagten hatte von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Wohnung angemietet. Der monatliche Gesamtmietzins belief sich auf 500 €. In der Wohnung lebte auch der Beklagte, der nach einem Verlust seiner Arbeitsstelle Ende der 90er-Jahre keine eigenen Einkünfte hatte und auch keine Arbeits- bzw. Sozialhilfeleistungen bezog. Der Beklagte und dessen Mutter lebten vielmehr von deren Renteneinkünften. Von dem Konto der Mutter wurden im Wege des SEPA-Lastschriftverfahrens die Mietzinsen eingezogen. Der Beklagte besaß eine Kontovollmacht.

Die Mutter des Beklagten verstarb 2018. Von ihrem Tod erzählte er niemandem und beschloss, diesen auch geheim zu halten, um weiterhin in den Genuss ihrer Rentenzahlungen zu gelangen. Er deponierte die Leiche in einem Kühlschrank, wofür er diese unter Alkoholeinfluss teilweise zerstückelte. Bis zur Entdeckung der Tat durch einen von einem besorgten Nachbarn veranlassten behördlichen Einsatz im Juli 2019 zahlte die Deutsche Rentenversicherung 17.083 € auf das Konto der Mutter.

Der Beklagte wurde 2020 wegen Betrugs zu Lasten der Rentenversicherung und Störung der Totenruhe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Deutsche Rentenversicherung verlangte sodann im November 2021 von der Vermieterin die Rückzahlung der im Zeitraum von Mai 2018 bis Juli 2019 geleisteten Mietzinszahlungen i.H.v. 7.370 € nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI. Die Klägerin behauptete, sie habe den Betrag an die Deutsche Rentenversicherung gezahlt und verlangte nunmehr vom Beklagten die Erstattung der rückständigen Mietzinsen aus der Zeit von Mai 2018 bis Juli 2019.

Das AG hat der Klage weitestgehend stattgegeben.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung gem. § 535 Abs. 2 BGB.

Der Beklagte ist gem. § 563 Abs. 2 BGB mit dem Tod seiner Mutter in das streitgegenständliche Mietverhältnis eingetreten, da er mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Er kann sich im Ergebnis nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Ansprüche auf Zahlung von Mietzinsen aus der Zeit von Mai 2018 bis Juli 2019 i.H.v. 7.370 € durch die im Wege des Lastschriftverfahrens erfolgten Zahlungen gem. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden sind.

Zwar kann sich der Beklagte auf die sehr ausführlich begründete Ansicht von Escher-Weingart und Scheel stützen. Hiernach erlischt die Mietforderung des Vermieters gegen den Mieter durch die Zahlung nach § 362 Abs. 1 BGB, auch wenn der Vermieter später von der Rentenversicherung nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI auf Rückzahlung der Mietzinszahlungen in Anspruch genommen werde. Eine Forderung könne nicht „vielleicht“ oder „vorläufig“ erfüllt sein. Eine Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB trete ein, wenn die geschuldete Leistung zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort auf die richtige Art und Weise zur richtigen Zeit erbracht werde und der Leistende das auch wolle.

Diese Ansicht ist jedoch nicht mit der BGH-Rechtsprechung zu der Frage der Erfüllungswirkung von Geldzahlungen in Einklang zu bringen, der sich das Gericht anschließt. Hiernach tritt eine Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB erst dann ein, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung bewirkt hat. Das Bewirken der geschuldeten Leistung bestehe in der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolges. Bei einer Geldschuld werde dieser Erfolg mangels anderer Vereinbarung nur dann erzielt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen könne, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhalte. Dürfe er den Betrag nicht behalten, so trete der Leistungserfolg nicht ein (u.a. BGH, Urt. V. 27.6.2008, V ZR 83/07). Hierbei spielt auch die Unwiderruflichkeit einer Banküberweisung (bzw. hier des Lastschrifteinzugs nach einer bestimmten Frist) keine Rolle.

Dass eine Leistung nach § 362 Abs. 1 BGB dann nicht bewirkt ist, wenn der Empfänger die Geldzahlung nicht behalten darf, muss für den vorliegenden Fall der Rückschluss gezogen werden, dass durch die Lastschrifteinzüge die Mietzinszahlungen nicht nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden sind, weil die Vermieterin die eingezogenen Beträge wegen § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI nicht endgültig behalten durfte. Den Lastschrifteinzügen von dem Konto der verstorbenen Mutter haftete daher „der Makel“ des § 118 Abs. 4 S. 1 BGB VI an bzw., wie es Escher-Weingart/Scheel formulieren, waren die Zahlungen durch die vorgenannte Vorschrift „infiziert“, so dass der Mietzinsanspruch der Klägerin aus § 535 Abs. 2 BGB nicht befriedigt werden konnte.

Dies führt konsequenterweise in der Tat dazu, dass alle Zahlungen aus dem Konto „infiziert“ gewesen sind, weil eine Zuordnung des Renteneingangs zur Mietzahlung durch die Einstellung in das Kontokorrent gar nicht mehr möglich gewesen ist. Dies erscheint aber nur auf den ersten Blick unbefriedigend. Derjenige, den diese Rechtsfolge am meisten benachteiligt, nämlich der Beklagte, ist nicht schutzwürdig, weil er wusste, dass er keinen Anspruch auf die Rentenzahlungen hatte. Der Empfänger der Leistungen, hier die Klägerin, wird bessergestellt. Denn wegen § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI waren alle Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben, dem Träger der Rentenversicherung kenntnisunabhängig zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Die Klägerin kann sich somit an den Beklagten wenden und die an die Rentenversicherung erstatteten Zahlungen (nochmals) einfordern, weil eine Erfüllungswirkung nach § 362 Abs. 1 BGB nicht eingetreten ist.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Mietkaution und Verwahrentgelt
Hans-Reinold Horst, MietRB 2022, 120

Kommentierung | § 551 BGB
Begrenzung und Anlage von Mietsicherheiten
Lützenkirchen in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.10.2022 14:53
Quelle: Justiz NRW

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