Otto Schmidt Verlag

BGH v. 22.9.2022 - V ZB 22/21

Zu den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO: Vorgreiflichkeit bei Streit um vormerkungsgesicherten Anspruch

Die in dem Rechtsstreit zwischen dem Gläubiger und dem ehemaligen Grundstückseigentümer als persönlichem Schuldner zu treffende Entscheidung, ob ein durch Vormerkung gesicherter Anspruch besteht, ist nicht vorgreiflich für den Prozess, in dem der Erwerber des Grundstücks den Gläubiger auf Löschung der Vormerkung in Anspruch nimmt.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin erwarb 2018 ein Grundstück. Noch vor ihrer Eintragung als Eigentümerin wurde zugunsten des Beklagten zu 1) und des während des Rechtsbeschwerdeverfahrens verstorbenen Beklagten zu 2) als Gesamtberechtigte aufgrund einer einstweiligen Verfügung eine Vormerkung zur Sicherung eines Anspruchs auf Eintragung eines Nießbrauchs in das Grundbuch eingetragen. Die Klägerin nimmt die Beklagten vor dem AG auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung mit der Begründung in Anspruch, sie habe das Grundeigentum gutgläubig lastenfrei erworben und zudem bestehe der gesicherte Anspruch nicht. Die Beklagten führen ihrerseits als Kläger einen Prozess gegen die Verkäuferin des Grundstücks vor dem LG, in welchem sie deren Zustimmung zur Eintragung des Nießbrauchsrechts in das Grundbuch verlangen.

Mit Beschluss vom 16.12.2020 hat das AG das Verfahren gem. § 148 ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem LG zur Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen ausgesetzt. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen die Aussetzung wies das LG zurück. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde. Der Beklagte zu 2), der Prozessbevollmächtigter des Beklagten zu 1) war und sich in dem Rechtsstreit zugleich selbst vertreten hat, ist am 23.1.2022 verstorben. Mit Beschluss vom 18.7.2022 stellte der Senat deklaratorisch fest, dass das gegen die Erben des Beklagten zu 2) geführte Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochen ist, während das gegen den Beklagten zu 1) geführte Rechtsbeschwerdeverfahren fortgeführt wird.

Auf die Rechtsmittel der Klägerin hob der BGH die Beschlüsse des AG vom 16.12.2020 und des LG vom 30.3.2021 auf, soweit sie im Prozessrechtsverhältnis zu dem Beklagten zu 1) ergangen sind, und verwies die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an das AG zurück.

Die Gründe:
Gem. § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus. Vorgreiflichkeit ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt.

Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung hingegen nicht. Andernfalls würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigt. Eine Aussetzung allein aus Zweckmäßigkeitsgründen sieht das Gesetz nicht vor. Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 Abs. 1 ZPO hier nicht vor.

Richtig ist zwar, dass eine Aussetzung nicht schon daran scheitert, dass es in beiden Prozessen nur um gemeinsame Vorfragen geht. Zwar wäre das Gericht des Zweitprozesses unter dieser Voraussetzung an die im ersten Prozess rechtskräftig ausgesprochene Rechtsfolge nicht gebunden. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn das Bestehen des vor dem LG streitgegenständlichen, mit der Vormerkung gesicherten schuldrechtlichen Anspruchs ist zugleich Vorfrage in dem Prozess vor dem AG. Gegenstand des von der Klägerin dort geltend gemachten Berichtigungsanspruchs ist die durch die i.S.v. § 894 Abs. 1 BGB unrichtige Eintragung in das Grundbuch entstandene Buchposition, deren Herausgabe oder Beseitigung der wahre Berechtigte von dem Buch-berechtigten soll verlangen können. Die Vormerkung wäre erloschen und das Grundbuch damit unrichtig, wenn der gesicherte Anspruch nicht bestünde. Infolgedessen hätte eine rechtskräftige Entscheidung über den gesicherten An-spruch präjudizielle Bedeutung für die Entscheidung über den Berichtigungsanspruch.

Das rechtfertigt aber nicht die Aussetzung, weil die Prozesse zwischen verschiedenen Parteien geführt werden. Die Klägerin ist als Erwerberin des Grundstücks nicht Partei des vor dem LG geführten Prozesses. Ein Urteil entfaltet grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Parteien des Rechtsstreits materielle Rechtskraft, so dass Dritte an den Inhalt des Urteils nicht gebunden sind. Die in dem Rechtsstreit zwischen dem Gläubiger und dem ehemaligen Grundstückseigentümer als persönlichem Schuldner zu treffende Entscheidung, ob ein durch Vormerkung gesicherter Anspruch besteht, ist daher nicht vorgreiflich für den Prozess, in dem der Erwerber des Grundstücks den Gläubiger auf Löschung der Vormerkung in Anspruch nimmt. Einer der Ausnahmefälle, in denen das Gesetz die Rechtskraft auf Dritte erstreckt, liegt hier nicht vor.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.12.2022 17:43
Quelle: BGH online

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