Otto Schmidt Verlag

OLG Brandenburg v. 4.10.2022 - 2 U 11/22

Überschwemmung: Gemeinde darf sich nicht ausschließlich am Berechnungsregen orientieren

Die schematische ausschließliche Orientierung am Berechnungsregen vernachlässigt die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls und kann deshalb nicht der alleinige Maßstab für die Dimensionierung der Kanalisation sein. Es bedarf vielmehr einer umfassenden Würdigung aller in Betracht kommenden Momente.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks im Gebiet der Beklagten. Das Grundstück liegt am Tiefpunkt einer nach beiden Seiten ansteigenden, durch 10 cm hohe Bordsteine gefassten, befestigten Stadtstraße. Der ihm gegenüber befindliche Park mit Pfuhl bildet mit seiner Lage unter dem Straßenniveau einen örtlichen Tiefpunkt für ein größeres Niederschlagswasser-Einzugsgebiet. Der maßgebliche Straßenbereich verfügt über vier Straßenabläufe.

Im Jahr 2011 kam es zu einer Überschwemmung des klägerischen Grundstücks. Die Klägerin begehrte im Wege der Amtshaftungsklage Ersatz für den Überschwemmungsschaden, den sie auf eine unzureichende Dimensionierung und Wartung der Regenwasserabläufe durch die beklagte Gemeinde zurückführt. Die Beklagte wies ihre Verantwortung für die dadurch verursachten Schäden unter Verweis auf die ungewöhnliche Stärke des Regenereignisses zurück.

Das LG hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Niederschlagsintensität und zur Leistungsfähigkeit der Regenentwässerung abgewiesen. Zur Begründung hieß es, die Sammlung und Beseitigung der Abwässer obliege der Beklagten zwar als hoheitliche Aufgabe. Das schadensursächliche Regenereignis sei aber so außergewöhnlich gewesen, dass die Anlage der Beklagten hierauf nicht habe eingerichtet sein müssen.

Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Entscheidung aufgehoben und die Sache  zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch aus Amtshaftung, § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Zur Höhe des Anspruchs ist der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif.

Die Bediensteten der Beklagten traf die im Wasser- und im Straßenrecht begründete Amtspflicht, das auf der Straße (wie auf anderen Verkehrsflächen) anfallende Niederschlagswasser ordnungsgemäß zu entsorgen und so sein Übertreten auf Anrainergrundstücke zu verhindern. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BbgStrG sind die technischen Bestimmungen und die anerkannten Regeln der Baukunst und Technik zu beachten. Diese Verpflichtung obliegt den Straßenbaulastträgern als Amtspflicht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG. Sie haben die ihnen obliegenden Aufgaben so zu erfüllen, dass weder den Bürgern, die die Straße nutzen, noch denjenigen, die als Grundstücksanlieger von ihr betroffen werden, Schäden entstehen. Entsprechend haftet der Straßenbaulastträger für Fehler bei der Planung, der Herstellung oder dem Betrieb von Straßen, die zu Schädigungen Dritter führen, nach Amtshaftungsgrundsätzen. Diese Pflichten haben die Bediensteten der Beklagten verletzt.

Das LG war zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangenen, dass die Beklagte im Rahmen der ihr obliegenden Pflichten nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen musste. Nach BGH-Rechtsprechung muss ein Entwässerungssystem aber grundsätzlich so beschaffen sein, dass es das üblicherweise anfallende Niederschlagswasser gefahrlos bewältigen kann. Hierzu gehören auch Starkregenereignisse, die statistisch allenfalls jährlich auftreten. Den nötigen Planungen der gemeindlichen Abwasseranlagen wird üblicherweise der statistische Wert des sog. Berechnungsregens zugrunde gelegt, d.h. die aus jahrzehntelangen Wetterbeobachtungen abgeleitete Wahrscheinlichkeit, wie oft ein Starkregenereignis dieser Größe in dem fraglichen Gebiet zu erwarten steht. Keinesfalls genügt, der Planung nur statistisch gesehen jährlich wiederkehrende Regenereignisse zugrunde zu legen.

Das Abstellen allein auf die statistische Regenhäufigkeit i.S. eines „Berechnungsregens“ greift allerdings zu kurz und wird den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Es kommt darauf an, ob sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergab, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Das lässt sich der Regenhäufigkeit an einem bestimmten Ort nicht allein entnehmen. Die schematische ausschließliche Orientierung am Berechnungsregen vernachlässigt die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls und kann deshalb nicht der alleinige Maßstab für die Dimensionierung der Kanalisation sein. Es bedarf vielmehr einer umfassenden Würdigung aller in Betracht kommenden Momente.

Welche Maßnahmen angezeigt sind, ist abhängig von den im Interesse eines ordnungsmäßigen Wasserabflusses bereits getroffenen Maßnahmen und vorausschauend von den möglichen Auswirkungen weiterer Vorkehrungen, doch ebenso von der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß eines zu befürchtenden Schadens im Verhältnis zur Durchführbarkeit und zu den Kosten von Abwehrmaßnahmen. Das angegriffene Urteil hat diese Maßstäbe verfehlt, indem es allein auf die Wiederkehrhäufigkeit des Regenereignisses abgestellt hatte. Die Straße verfügt nur über vier anstelle der notwendigen neun Abläufe im gesamten Einzugsgebiet. Insbesondere aber fehlen vier Abläufe am Tiefpunkt der Straße. Ein ordnungsgemäßes Entwässerungssystem für das gesamte Einzugsgebiet hätte auch bei einem Extremereignis das Überflutungsgeschehen am Tiefpunkt erheblich abschwächen oder komplett verhindern können.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.12.2022 14:00
Quelle: Landesrecht Brandenburg

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