Otto Schmidt Verlag

BGH v. 30.11.2022 - IV ZB 17/22

beA: Übermittlung der Berufungsbegründung an falschen Empfänger

Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gem. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist. An die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax.

Der Sachverhalt:
Der Kläger wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde dagegen, dass das OLG seine Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen hat. Hilfsweise erstrebt der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Er legte gegen das am 30.6.2021 seinem Prozessbevollmächtigten zugestellte Urteil des LG fristgerecht Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde bis zum 30.9.2021 verlängert. Am 29.9.2021 übermittelte der Klägervertreter die Berufungsbegründungsschrift über das beA versehentlich an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (im Folgenden: EGVP) des LG. Am 11.10.2021 wurde von dort aus die Berufungsbegründung an das OLG weitergeleitet.

Der Kläger beantragte mit am 12.10.2021 beim OLG eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und führte zur Begründung aus, die komplette Fristenkontrolle einschließlich der Ausgangskontrolle erfolge in seiner Einzelkanzlei ausschließlich durch ihn. Er habe hinsichtlich der Berufungsbegründung kontrolliert, ob und wann das Dokument übermittelt worden sei. Es sei ihm nicht aufgefallen, dass der falsche Empfänger angegeben worden sei, weil er geglaubt habe, den richtigen Empfänger angeklickt zu haben.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil es ohne Rechtsfehler die Frist zur Begründung des Rechtsmittels als versäumt erachtet und das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht als ausreichend dargelegt angesehen hat.

Bis zum Ablauf der bis zum 30.9.2021 verlängerten Frist ist keine Berufungsbegründung beim OLG eingegangen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Frist nicht durch die Übersendung an das EGVP des LG gewahrt worden. Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gem. § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist. Diese Voraussetzung ist mit der Übermittlung der Berufungsbegründung an das EGVP des LG nicht erfüllt.

Der Kläger war auch nicht ohne Verschulden i.S.v. § 233 Satz 1 ZPO verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten; er muss sich insoweit das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Nach ständiger BGH-Rechtsprechung hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA entsprechen dabei denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es deshalb unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Aus diesem Grund umfassen die Kontrollpflichten auch die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Bestätigung, ob die Rechtsmittelschrift an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Diese Sorgfaltsanforderungen hat der Rechtsanwalt selbst zu erfüllen, wenn er - wie hier - persönlich die Versendung der fristwahrenden Schriftsätze übernimmt.

Gemessen hieran konnte das OLG rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Klägervertreter nicht ohne sein Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Aus dem Vortrag des Klägers anlässlich der Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich, dass der Klägervertreter in der festen Überzeugung, die Übersendung an das richtige Gericht veranlasst zu haben, seine Überprüfung der automatisierten Bestätigung darauf beschränkt hat, ob der Sendevorgang als solcher erfolgreich war und wann die Übersendung erfolgt ist. Damit aber ist die Überprüfung, die sich nach dem zuvor Gesagten gerade auch darauf erstrecken muss, ob die Übermittlung an das richtige Gericht erfolgt ist, unvollständig geblieben.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Ein Jahr beA-Pflicht
Klaus Bacher, MDR 2022, 1441

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.12.2022 11:21
Quelle: BGH online

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