Otto Schmidt Verlag

BGH v. 24.2.2023 - V ZR 152/22

WEG: Zum Streitwert einer Anfechtungsklage

Wird ein nach Inkrafttreten des WEMoG gefasster Abrechnungsbeschluss gem. § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung. Das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Klägers entspricht seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In der Eigentümerversammlung vom 20.7.2021 waren mehrere Beschlüsse gefasst worden, u.a. beschlossen die Wohnungseigentümer, dass die Nachschüsse bzw. Anpassungen der beschlossenen Vorschüsse aus den Einzelabrechnungen für das Jahr 2019 (TOP 2) und für das Jahr 2020 (TOP 3) genehmigt und fällig gestellt werden.

Gegen diese und weitere Beschlüsse wandte sich die Klägerin mit ihrer am 12.8.2021 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage. In der Klageschrift wurden als Beklagte „alle im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit im Grundbuch eingetragenen Wohnungs- und Teileigentümer der Liegenschaft bzw. deren Rechtsnachfolger im Wege der Zwangsversteigerung oder im Wege der Gesamtrechtsnachfolge mit Ausnahme der Klägerin“ bezeichnet. Der Verwalter wurde als „Beteiligter“ und „Beizuladender“ aufgeführt.

Nachdem das AG die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass nach neuem Recht die Klage gegen die GdWE zu richten sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.9.2021 die Klage erweitert und auch gegen die GdWE gerichtet, der die Klage am 22.10.2021 zugestellt wurde. Das AG hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist des § 45 WEG insgesamt abgewiesen. Das LG hat im Berufungsverfahren unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen u.a. die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 für ungültig erklärt. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Urteil des LG im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden war. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AG wurde insoweit zurückgewiesen.

Gründe:
Das LG hat die Beschlussmängelklage der Klägerin in dem noch anhängigen Umfang zu Unrecht als begründet angesehen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hatte die am 12.8.2021 bei Gericht eingegangene Anfechtungsklage die materiellen Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG (Einlegungs- und Begründungsfrist) nicht gewahrt. Auf die vom Berufungsgericht bejahten Anfechtungsgründe ließ sich deshalb die Ungültigerklärung der Beschlüsse nicht stützen. Die von ihm vorgenommene Auslegung der Klageschrift war unzutreffend. Wie zu verfahren ist, wenn in einer - wie hier - nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet werden, hat der Senat - allerdings nach Verkündung des Berufungsurteils - dahingehend geklärt, dass die Klage nur dann als gegen die GdWE gerichtet zu verstehen sein kann, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergibt. Für eine solche Annahme genügt nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung (vgl. Senat, Urt. v.13.1.2023 - V ZR 43/22). Danach war auch hier bei objektiver Würdigung der Klageschrift auszuschließen, dass die Klage gegen die GdWE gerichtet werden sollte.

Eine Bezeichnung der GdWE als Beklagte ist erstmalig im Schriftsatz vom 22.9.2021 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt waren die Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG bereits abgelaufen. Dass der Schriftsatz demnächst zugestellt worden war (§ 167 ZPO), half der Klägerin deshalb nichts. Geklärt ist inzwischen auch, dass die bisherige Rechtsprechung des Senats zu § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG aF, wonach die Klagefrist durch eine irrtümlich gegen die Gemeinschaft erhobene Anfechtungsklage gewahrt werden konnte, wenn der Übergang zu einer Klage gegen die damals richtigerweise zu verklagenden übrigen Wohnungseigentümer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG aF bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgeholt wurde, auf die Rechtslage nach Inkrafttreten des WEMoG nicht übertragbar ist. Ebenso wenig kommt bei einer - wie hier - anwaltlich vertretenen Partei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 45 Satz 2 WEG i.V.m. §§ 233 ff. ZPO in Betracht.

Entschieden ist bereits, dass auch nach Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage denselben Streitgegenstand haben; einzelne Beschlussmängel sind nur Teile des einheitlichen Streitgegenstands. Rechtserhebliche Bedeutung kommt der Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen weiterhin hauptsächlich dann zu, wenn zumindest eine der Fristen des § 45 Satz 1 WEG versäumt worden ist. Die Klage kann dann nur noch Erfolg haben, wenn der Beschluss nichtig ist. Ob dies der Fall ist, hat grundsätzlich auch das Revisionsgericht zu prüfen. Nichtigkeitsgründe waren hier nicht ersichtlich, und zwar auch nicht hinsichtlich der zu TOP 2 und 3 gefassten Beschlüsse.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren auf 77.638,68 € ergab sich aus § 49 GKG. Wird ein nach Inkrafttreten des WEMoG gefasster Abrechnungsbeschluss gem. § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung. Das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Klägers entspricht seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung.

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Aufsatz
Olaf Riecke
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.04.2023 13:02
Quelle: BGH online

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