Otto Schmidt Verlag

BGH v. 27.1.2022 - IX ZR 44/21

Verwertung eines verpfändeten Sparguthabens bei Insolvenz des gewerblichen Mieters

Hat ein gewerblicher Mieter ein Sparguthaben für alle Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung wirksam verpfändet und macht der Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, sichert das vertragliche Pfandrecht auch den Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses. Der Vermieter ist zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 InsO ist auf ein vertraglich vereinbartes Pfandrecht nicht entsprechend anwendbar.

Der Sachverhalt:
Die S. GmbH (Schuldnerin) mietete für den Zeitraum vom 1.3.2016 bis zum 31.1.2021 von der Beklagten Gewerberäume nebst dazugehöriger Stellplätze für mtl. rd. 3.500 € brutto. Ausweislich des Mietvertrags hatte die Schuldnerin der Beklagten "für die Einhaltung der (ihr) aus diesem Vertrag obliegenden Verbindlichkeiten eine Sicherheit in Geld i.H.v. rd. 8.200 €" zu gewähren. In Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung verpfändete sie der Beklagten "als Sicherheit für alle gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter aus dem bestehenden Mietverhältnis" das auf einem Sparkonto bei der D. "unterhaltene Guthaben i.H.v. rd. 8.200 €" zzgl. der darauf anfallenden Zinsen "mit der Maßgabe, dass der Vermieter ohne besonderen Nachweis der Fälligkeit der gesicherten Ansprüche berechtigt ist, unter der Vorlage der über die Spareinlage ausgestellten Urkunde jederzeit Auszahlung des verpfändeten Guthabens von der Bank zu verlangen".

Die Schuldnerin übergab der Beklagten das Sparbuch und zeigte der Bank die Verpfändung an. Am 1.2.2019 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser kündigte noch am gleichen Tag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO das Mietverhältnis "fristgerecht zum 30.4.2019, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin". Die Mietsache wurde der Beklagten am 20.5.2019 zurückgegeben und von ihr jedenfalls bis Dezember 2019 nicht anderweitig vermietet. Die Beklagte ließ sich am 5.7.2019 das Sparguthaben auszahlen. Diesen Geldbetrag verlangt der Kläger nebst Zinsen von der Beklagten zurück. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an der Mietsicherheit ein Recht auf abgesonderte Befriedigung hatte und ob sie das Sparguthaben für Schadensersatzansprüche gem. § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses, hilfsweise für etwaige Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Reparaturen von Laminat, Decken und Wänden oder höchst hilfsweise für etwaige Schadensersatzansprüche wegen der Entfernung einer Telefon- und Serveranlage verwerten durfte.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch wegen unberechtigter Verwertung des verpfändeten Sparguthabens zu. Vielmehr hatte die Beklagte wegen der vorzeitigen Kündigung des Mietverhältnisses durch den Kläger einen Schadensersatzanspruch aus § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO oder aus §§ 280 ff BGB i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO, welcher durch das ihr von der Schuldnerin an dem Sparguthaben eingeräumte vertragliche Pfandrecht (§§ 1279, 1273, 1274, 1205 BGB) abgesichert war. Die Beklagte war deswegen gegenüber dem Kläger nach § 50 Abs. 1 InsO zur abgesonderten Befriedigung aus dem ihr verpfändeten Sparbuch und gem. § 1283 Abs. 1, § 1282 Abs. 1 Satz 1, § 1284 BGB i.V.m. § 173 Abs. 1 InsO zur Kündigung und Einziehung des Sparguthabens in voller Höhe berechtigt. Pfandreife nach § 1282 Abs. 1 Satz 1, § 1228 Abs. 2 oder nach § 1284 BGB war eingetreten, als die Beklagte am 5.7.2019 das Sparguthaben eingezogen hat.

Die zwischen den Mietvertragsparteien vereinbarte Mietkaution sicherte in der Insolvenz der Schuldnerin (Mieterin) grundsätzlich auch den Anspruch der Beklagten (Vermieterin) aus § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO bzw. aus §§ 280 ff, § 314 Abs. 4 BGB i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO. Welche Vermieteransprüche gesichert werden sollen, ergibt sich primär aus der getroffenen Vereinbarung. Enthält die Vereinbarung keine Einschränkung, dient die Mietkaution der Sicherung aller auch der noch nicht fälligen oder bedingten Ansprüche des Vermieters, die sich aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung ergeben. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters beseitigt das Sicherungsbedürfnis des Vermieters nicht. Dieser darf eine vor Insolvenzeröffnung vom Schuldner geleistete Mietkaution daher auch weiterhin behalten. Endet das Mietverhältnis erst nach Insolvenzeröffnung und weist der Mietvertrag keine abweichenden Regelungen auf, kann der Vermieter sämtliche Forderungen aus dem Mietvertrag unabhängig von ihrem Entstehungszeitpunkt mit dem nach Vertragsende fälligen Anspruch auf Rückzahlung der Kaution verrechnen.

Es kommt nicht darauf an, ob die Ansprüche des Vermieters als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen sind oder ob es sich um Insolvenzforderungen handelt. Bei der Abrechnung kann der Vermieter nach seiner Wahl darüber entscheiden, wegen welcher Forderungen er sich aus der Mietkaution befriedigt, unabhängig davon, ob es sich jeweils um Insolvenz- oder Masseforderungen handelt. Ausweislich der mietvertraglichen Vereinbarung diente die Mietsicherheit der "Einhaltung der (der Schuldnerin) aus diesem Vertrag obliegenden Verbindlichkeiten", mithin sollte die Mietkaution vorliegend alle auch noch nicht fälligen Ansprüche des Vermieters, die sich aus dem Mietverhältnis und seiner Abwicklung ergeben, sichern, auch Schadensersatzansprüche wegen Vertragsverletzungen aus §§ 280, 281, 314 Abs. 4, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB. Ein Schadensersatzanspruch aus § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO ist eine solche Verbindlichkeit, welche durch die Kaution abgesichert werden sollte.

Die Beklagte war gem. § 50 Abs. 1 InsO nach Maßgabe der § 166 bis § 173 InsO wegen des ihr eingeräumten vertraglichen Pfandrechts an dem Sparkonto für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Sparguthaben berechtigt. Der Verwertung des Pfandrechts stand § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht entgegen. Diese Regelung stellt eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmebestimmung für das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters und Verpächters dar. Das sich aus § 50 Abs. 1 InsO für das rechtsgeschäftliche Pfandrecht, für das durch Pfändung erlangte Pfandrecht und für das gesetzliche Pfandrecht ergebende Absonderungsrecht wird in § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO für das Vermieter- und Verpächterpfandrecht beschränkt. Das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters nach § 578 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 562 BGB und das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters nach § 581 Abs. 2, § 578 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 562 BGB sichern aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des § 50 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 InsO im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters und des Pächters den Schadensersatzanspruch aus § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht.

In § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO ist nur das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters oder Verpächters genannt, nicht jedoch das dem Streitfall zugrundeliegende vertragliche Pfandrecht an Forderungen (§§ 1279 ff BGB). In der Literatur ist streitig, ob auf die Mietsicherheit § 50 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 InsO analog anzuwenden ist. Für eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 InsO auf die Mietsicherheit ist jedenfalls dann kein Raum, wenn sie wie im Streitfall in der Form gewährt wird, dass der Mieter dem Vermieter ein Sparguthaben verpfändet. Es fehlt an einer tragfähigen Grundlage für eine Analogie.

Mehr zum Thema:

  • Kurzbeitrag: Mietrecht (MDR 2022, R39)
  • Aufsatz: Burbulla - Gewerberaummiete - Die Entwicklungen der Rechtsprechung im 1. Halbjahr 2021 (MDR 2021, 1500)
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.03.2022 14:13
Quelle: BGH online

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