Otto Schmidt Verlag

LG Berlin v. 8.2.2022 - 67 S 298/21

Mietrückstände begründen nicht zwangsläufig ein Kündigungsrecht

Es geht kündigungsrechtlich zu Lasten des Vermieters, wenn er den Mieter ohne vorherige Zahlungsaufforderung durch den umgehenden Ausspruch einer Zahlungsverzugskündigung „ins Messer laufen lässt", obwohl er erkennen musste, dass der Zahlungsrückstand nicht auf der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in Berlin-Moabit. Sie hatte das Mietverhältnis zuvor am 7.1.2021 und später noch einmal am 24.6.2021 gekündigt. Als Grund hatte sie Mietrückstände angegeben.

Tatsächlich hatte die Betreuerin der Beklagten im Dezember 2020 den Dauerauftrag für das stets gedeckte Konto der Beklagten gekündigt und die Klägerin zur Verringerung des auch im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des MietenWoG Bln gesteigerten Verwaltungsaufwandes bei der Kontrolle und Anpassung der zu überweisenden Mietzahlungen darum gebeten, die Mieten zukünftig im Lastschriftverfahren einzuziehen. Nachdem die Klägerin der Bitte „aus technischen Gründen“ nicht entsprochen hatte, ist es der Betreuerin in der Folge bis zum Ausspruch der Kündigung am 7.1.2021 aus Gründen offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht mehr gelungen, den zuvor gekündigten Dauerauftrag wieder rechtzeitig in Vollzug zu setzen.

Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem LG erfolglos.

Die Gründe:
Das Mietverhältnis ist durch streitgegenständlichen Kündigungen weder fristlos noch fristgerecht beendet worden.

Die Pflichtverletzung der Beklagten war nicht hinreichend erheblich. Zwar ist zu ihren Lasten der Kündigungsrückstand in Höhe von zwei vollen Monatsmieten und die abstrakte Wiederholungsgefahr einer weiteren Zahlungspflichtverletzung zu berücksichtigen. Dazu treten jedoch zu ihren Gunsten - und für die Gesamtabwägung wesentlich - der lediglich geringe Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände der Beklagten und der Umstand, dass die Beklagte nicht selbst pflichtwidrig gehandelt hat, sondern sich die schuldhafte Pflichtverletzung ihrer Betreuerin als Fremdverschulden gem. § 278 BGB zurechnen lassen muss:

Für den Mieter nicht erkenn- oder beherrschbare Pflichtverstöße seines Erfüllungsgehilfen mindern das Gewicht der ihm zugerechneten und zum Gegenstand einer ordentlichen Kündigung erhobenen Pflichtverletzung deutlich. Es geht kündigungsrechtlich zu Lasten des Vermieters, wenn er den Mieter ohne vorherige Zahlungsaufforderung durch den umgehenden Ausspruch einer Zahlungsverzugskündigung „ins Messer laufen lässt", obwohl er erkennen musste, dass der Zahlungsrückstand nicht auf der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen.

Der Verzug des Mieters mit im Vertrauen auf die Verfassungsgemäßheit des MietenWoG Bln einbehaltenen Mietanteilen ist abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls geeignet, die Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei kommt der Pflichtverletzung des Mieters das für eine ordentliche Kündigung erforderliche Gewicht aber jedenfalls solange nicht zu, wie der Vermieter dem Mieter gegenüber nicht seine eigenen rechtlichen oder tatsächlichen Schlussfolgerungen aus der Entscheidung des BVerfG vom 25.3.2021 zur Verfassungswidrigkeit des MietenWoG Bln ausdrücklich oder zumindest konkludent - etwa durch den Ausspruch einer Zahlungsaufforderung oder Mahnung - kundgetan hat.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.03.2022 15:27
Quelle: Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank

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