Otto Schmidt Verlag

LG Berlin v. 15.12.2022 - 67 S 137/22

§ 575 Abs. 1 BGB stellt eine international zwingende Formvorschrift dar

Bei § 575 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine international zwingende Formvorschrift i.S.v. Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO. Eine solche international zwingende Wirkung ist in der Regel solchen Formvorschriften zuzubilligen, deren Schutzzweck es erfordert, dass sie sich auch gegenüber an sich einschlägigen ausländischen Formvorschriften durchsetzen. Maßgeblich ist, ob dieser Staat, wenn aus seiner Sicht inländische Immobilien betroffen sind, inländische Formvorschriften ohne Rücksicht auf den Abschlussort des Vertrages oder sein Geschäftsstatut anwendet.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Immobilie X, die sich neben dem Gebäude der Botschaft der Y befindet und seit 2003 für die Unterbringung von Botschaftsangehörigen genutzt sowie teils an botschaftsfremde Personen vermietet wird. Der Beklagte zu 1) hatte am 9./14.10.2019 mit dem als Vermieter bezeichneten Ministerium für auswärtige Angelegenheiten einen neuen Mietvertrag über die Wohnung, der in der Y-Sprache abgefasst ist, abgeschlossen. Art. 31 des Mietvertrages bestimmt für die nicht im Vertrag geregelten Angelegenheiten die Geltung des Z-Rechts. Der Mietvertrag wurde gem. Art. 24./ 1 für den Zeitraum von einem Jahr geschlossen.

Die Klägerin teilte dem Beklagten zu 1) im April 2020 mit, der Mietvertrag könne nach Ablauf der bis zum 30.9.2020 vereinbarten Mietzeit nicht verlängert werden. Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen. Der Klägerin stehe aufgrund des fortbestehenden Mietvertrags zwischen dem Z-Außenministerium und dem Beklagten zu 1) kein Herausgabeanspruch zu. Die ohne schriftliche Angabe des Befristungsgrundes vereinbarte Befristung des Mietverhältnisses sei gem. § 575 Abs. 1 und 4 BGB unwirksam.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb vor dem LG erfolglos. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gem. §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zu, da das Mietverhältnis weder durch Fristablauf noch durch eine Kündigung beendet worden ist.

Der Herausgabeanspruch ist auch nicht gem. § 985 Abs. 1 BGB begründet, da den Beklagten aus dem nicht beendeten Mietverhältnis ein von der zur Überlassung der Wohnung berechtigten Vermieterin abgeleitetes Recht zum Besitz zusteht, § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die in Art. 24./1 des Mietvertrages vereinbarte Befristung des Mietverhältnisses verstößt gegen § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach der Abschluss eines befristeten Mietverhältnisses nur zulässig ist, wenn einer der in den Ziffern 1 bis 3 genannten Befristungsgründe vorliegt und dem Mieter der Grund der Befristung bei Vertragsschluss schriftlich mitgeteilt wird. An der danach für die ausnahmsweise Wirksamkeit einer Befristung des Mietvertrages vorausgesetzten schriftlichen Mitteilung des Befristungsgrundes fehlte es hier allerdings, so dass gem. § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt.

Auf das streitgegenständliche Mietverhältnis ist die für eine wirksame Befristung statuierte Formvorschrift des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB als zwingendes Recht des Belegenheitsortes und nicht gemäß der Rechtswahlklausel des Art. 31 des Mietvertrags Z-Recht anzuwendenden. Dies findet seine Grundlage in Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO, wonach Verträge, die die Miete einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben, den Formvorschriften des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, unterliegen, sofern diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates unabhängig davon gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem Recht dieser Vertrag unterliegt, und von ihnen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Das auf das eine Verbindung zu dem Recht verschiedener Staaten aufweisende Mietverhältnis als vertraglichem Schuldverhältnis anwendbare Recht bestimmt sich gem. Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Rom-I-VO nach den Regeln der Rom-I-VO. Die nach der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO grundsätzlich zulässige kollisionsrechtlich freie Rechtswahl wird vorliegend aufgrund der Formvorschrift des § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB als i.S.v. Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO international zwingend geltendes Recht des Belegenheitsortes verdrängt, wobei von der Vorschrift als Anknüpfungsvorschrift für Formfragen bei Schuldverträge, die die des EGBGB ersetzen, nicht nur Verträge über ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache, sondern auch Verträge, die die Miete einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben, erfasst sind.

Eine international zwingende Wirkung i.S.v. Art 11 Abs. 5 Rom I-VO ist in der Regel solchen Formvorschriften zuzubilligen, deren Schutzzweck es erfordert, dass sie sich auch gegenüber an sich einschlägigen ausländischen Formvorschriften durchsetzen. Maßgeblich ist, ob dieser Staat, wenn aus seiner Sicht inländische Immobilien betroffen sind, inländische Formvorschriften ohne Rücksicht auf den Abschlussort des Vertrages oder sein Geschäftsstatut anwendet. Allerdings war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zuzulassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Frage zu ermöglichen, ob es sich bei § 575 Abs. 1 BGB um eine international zwingende Formvorschrift i.S.v. Art. 11 Abs. 5 Rom-I-VO handelt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.01.2023 16:19
Quelle: Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank

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