Otto Schmidt Verlag

BGH v. 11.11.2022 - V ZR 145/21

Grunddienstbarkeit: Zur Bezeichnung des herrschenden Grundstücks im Grundbuch

Wenn der aus einer Grunddienstbarkeit Berechtigte durch Bezeichnung des herrschenden Grundstücks im Grundbuch eindeutig bezeichnet ist, kommt eine abweichende Auslegung anhand der Eintragungsbewilligung und der tatsächlichen Verhältnisse nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn die Grunddienstbarkeit zugunsten einer noch wegzumessenden Teilfläche bestellt worden war. Herrschendes Grundstück i.S.v. § 1018 BGB kann nur ein selbständiges Grundstück i.S.d. GBO, also eine räumlich abgegrenzte, auf einem besonderen Grundbuchblatt gebuchte Fläche sein. Ausreichend, aber auch erforderlich ist dabei, dass das Grundstück im Zeitpunkt der Eintragung der Dienstbarkeit rechtlich selbständig ist.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Beide Grundstücke - das der Kläger (Flurstück 1523/21) und das des Beklagten (Flurstück 1523/17) - sind aus der Teilung des Flurstücks 1523 hervorgegangen. Der Beklagte ist außerdem Eigentümer des nach der Teilung verbliebenen Restgrundstücks, das im Grundbuch weiterhin als Flurstück 1523 geführt wird.

Anlässlich des Verkaufs der noch wegzumessenden, heute dem Grundstück des Beklagten (1523/17) entsprechenden Teilfläche des früheren Flurstücks 1523 verpflichtete sich die damalige Erwerberin im Jahr 1969 mit Wirkung gegen sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum gegenüber den jeweiligen Eigentümern u.a. der "Parzelle Nr. 2", den Bewuchs auf der Kauffläche auf eine Höhe von maximal vier Metern zu beschränken. Die Parzelle Nr. 2 entspricht dem heutigen Grundstück der Kläger (1523/21). Hierfür wurde eine Grunddienstbarkeit bestellt und deren Eintragung im Grundbuch bewilligt. Der Eintragungsantrag sowie die Bezeichnung des herrschenden und des dienenden Grundstücks sollten einer Nachtragsurkunde vorbehalten bleiben. Mit Nachtragsurkunde aus dem Jahr 1972 bewilligten und beantragten die Eigentümer des zwischenzeitlich abgemessenen Grundstücks 1523/17 die Eintragung der Grunddienstbarkeit "zugunsten des jeweiligen Eigentümers der Flst.Nr. 1523".

In das Grundbuch des Grundstücks 1523/17 wurde im Jahr 1974 Folgendes eingetragen: "Grunddienstbarkeit (Bepflanzungsbeschränkung) für den jeweiligen Eigentümer von Grundstück FlNr. 1523; gem. Bewilligung vom 25.7.1969 URNr. 2271 F/1969 und Nachtrag vom 26.9.1972 URNr. 2246 F/1972". Zu diesem Zeitpunkt existierte für das Grundstück 1523/21 noch kein eigenes Grundbuchblatt; ein solches wurde erst mit Eintragung der Kläger als Eigentümer im Jahr 1974 angelegt. Der Beklagte erwarb das Restgrundstück 1523 im Jahr 2001 und das Grundstück 1523/17 im Jahr 2010.

Das LG wies die Klage, mit der die Kläger zunächst verlangten, dass der Beklagte den Bewuchs auf vier Meter zurückschneide, ab. Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger wies das OLG zurück. Auf den erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag stellte es jedoch fest, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Bewuchs auf höchstens vier Metern zu halten. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG insoweit auf, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist, und wies den in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Klageantrag ab.

Die Gründe:
Der Beklagte ist gegenüber den Klägern nicht aufgrund einer Grunddienstbarkeit verpflichtet, den Bewuchs seines Grundstücks 1523/17 auf höchstens vier Metern zu halten. Denn eine solche Grunddienstbarkeit zugunsten des klägerischen Grundstücks 1523/21 ist nicht entstanden.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Annahme des OLG, dass sich die dingliche Einigung hinsichtlich der Belastung mit einer Dienstbarkeit auf das spätere Grundstück 1523/17 und hinsichtlich der Berechtigung ausweislich der Bezeichnung als "Parzelle 2" auf das spätere Grundstück 1523/21 bezog. Richtig ist auch, dass die am 17.1.1974 auf dem Grundbuchblatt des Grundstücks 1523/17 erfolgte Eintragung, die das Grundstück 1523 als herrschendes Grundstück benennt, hiermit nicht übereinstimmt. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Schlussfolgerung des OLG, dass gleichwohl eine Dienstbarkeit zugunsten des Grundstücks 1523/21 entstanden sei. Da Einigung und Eintragung inhaltlich nicht übereinstimmen, sind die Voraussetzungen von § 873 BGB nicht erfüllt. Nichts Anderes folgt aus den in Bezug genommenen Urkunden. Wenn der aus einer Grunddienstbarkeit Berechtigte durch Bezeichnung des herrschenden Grundstücks im Grundbuch eindeutig bezeichnet ist, kommt eine abweichende Auslegung anhand der Eintragungsbewilligung und der tatsächlichen Verhältnisse nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn die Grunddienstbarkeit zugunsten einer noch wegzumessenden Teilfläche bestellt worden war.

Nichts Anderes folgt aus den in Bezug genommenen Urkunden. Wenn der aus einer Grunddienstbarkeit Berechtigte durch Bezeichnung des herrschenden Grundstücks im Grundbuch eindeutig bezeichnet ist, kommt eine abweichende Auslegung anhand der Eintragungsbewilligung und der tatsächlichen Verhältnisse nicht in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn die Grunddienstbarkeit zugunsten einer noch wegzumessenden Teilfläche bestellt worden war. Im Grundbuch des mittlerweile im Eigentum des Beklagten stehenden Grundstücks 1523/17 ist als herrschendes Grundstück eindeutig das Grundstück 1523 bezeichnet und nicht das klägerische Grundstück 1523/21, das der in der dinglichen Einigung genannten Parzelle 2 entspricht. Die Bezeichnung des herrschenden Grundstücks mit der Flurstücksnummer 1523 ist schon deshalb eindeutig, weil dieses Grundstück weiterhin existiert. Dass das herrschende Grundstück eindeutig bezeichnet ist, wird hier besonders augenfällig, weil das Grundstück 1523 ebenfalls im Eigentum des Beklagten steht und dieser daher keine Veranlassung hatte anzunehmen, dass eigentlich ein Dritter berechtigt sein sollte. Demgegenüber ist unerheblich, dass alle Grundstücke aus dem früheren Flurstück 1523 hervorgegangen sind.

Ausreichend, aber auch erforderlich ist dabei, dass das Grundstück im Zeitpunkt der Eintragung der Dienstbarkeit rechtlich selbständig ist. Ist das herrschende Grundstück bei Bestellung der Dienstbarkeit noch rechtlich unselbständig, kann das Grundstück durch eine Identitätserklärung bei Eintragung grundbuchmäßig bestimmt werden. Zu Gunsten eines katastermäßig selbständigen, aber rechtlich unselbständigen Grundstücks kann dagegen keine Grunddienstbarkeit bestellt werden. Hier existierte das klägerische Grundstück 1523/21 zum Zeitpunkt der Eintragung noch nicht. Damit hätte die Eintragung der Dienstbarkeit nicht erfolgen dürfen, und sie konnte nicht zur Entstehung der Dienstbarkeit zugunsten des Grundstücks 1523/21 führen.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Grunddienstbarkeit: Wesentlicher Inhalt des Benutzungsrechts bei Grundbucheintragung
BGH vom 17.12.2021 - V ZR 44/21
MDR 2022, 423

Kommentierung | ZPO
§ 1018 Gesetzlicher Inhalt der Grunddienstbarkeit
Grziwotz in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2023 11:16
Quelle: BGH online

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