Otto Schmidt Verlag

BGH v. 13.1.2023 - V ZR 43/22

Einheitlicher Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage auch nach Inkrafttreten des WEMoG

Werden in einer nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet, kann die Klage nur dann als gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet zu verstehen sein, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergibt. Für eine solche Annahme genügt nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung. Eine Beschlussanfechtungsklage, die nach dem 30.11.2020 eingeht und gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet ist, wahrt die Klagefrist gem. § 45 Satz 1 WEG nicht.

Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Sie wenden sich gegen die in der Eigentümerversammlung vom 14.12.2020 zu TOP 1 und 2 gefassten Beschlüsse, die die geänderte Ausführung einer Geländerkonstruktion im Zusammenhang mit einer zu einem früheren Zeitpunkt beschlossenen Instandsetzung zusammenhängender Dachterrassenflächen zum Gegenstand haben.

In der am 13.1.2021 bei Gericht eingegangenen Klage benannten die Kläger die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte und die Verwalterin als Zustellungsbevollmächtigte. Auf gerichtlichen Hinweis baten sie noch vor Zustellung der Klageschrift mit einem am 11.2.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz um Berichtigung des Beklagtenrubrums dahingehend, dass Beklagte die GdWE "mit Ausnahme der Kläger" sei. Dieser Schriftsatz und die Klageschrift wurden der Verwalterin am 25.2.2021 zugestellt. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG erklärten die Kläger, die Klage richte sich ohne Ausnahmen gegen die GdWE.

AG und LG wiesen die Klage ab. Die Revision der Kläger hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Ob das LG die Zulassung der Revision auf die allein für Anfechtungsgründe erhebliche Frage der Wahrung der Klagefrist gem. § 45 Satz 1 WEG beschränken und die in der Sache verneinten Nichtigkeitsgründe von der Zulassung ausnehmen wollte, kann offenbleiben. Eine solche Beschränkung wäre jedenfalls wirkungslos.

Die Voraussetzungen für eine beschränkte Zulassung der Revision sind hier nicht erfüllt. Ein selbständiger Teil des Gesamtstreitstoffs ist allerdings regelmäßig gegeben, wenn das LG über mehrere prozessuale Ansprüche entscheidet und die als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfrage nur einen der Streitgegenstände betrifft. Die von den Klägern geltend gemachten Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe stellen aber keine unterschiedlichen Streitgegenstände dar. Auch nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) am 1.12.2020 haben Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (§ 44 Abs. 1 Satz 1 WEG) denselben Streitgegenstand; einzelne Beschlussmängel sind nur Teile des einheitlichen Streitgegenstands. An dieser zum alten Wohnungseigentumsrecht ergangenen Rechtsprechung hält der Senat fest.

Dass dem Berufungsurteil hiernach ein einheitlicher prozessualer Anspruch zugrunde liegt, stünde einer beschränkten Zulassung der Revision allerdings nicht entgegen, wenn die von dem LG als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfrage nur für einen selbständigen Teil des Streitgegenstands erheblich wäre. So liegt es hier indes nicht. Bei der Beschlussmängelklage nach dem WEG können die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe abtrennbare Teile des Streitstoffs darstellen. Weil bereits die Klage auf einzelne Beschlussmängel begrenzt werden kann und infolgedessen nach Ablauf der Begründungsfrist des § 45 Satz 1 WEG nachgeschobene Anfechtungsgründe - vorbehaltlich einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 45 Satz 2 WEG - nicht mehr berücksichtigt werden können, ist eine solche Beschränkung erst recht im Verlauf des Rechtsstreits möglich. Eine auf einzelne Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe beschränkte Rechtsmittelzulassung kommt aber jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn sich die geltend gemachten Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe in tatsächlicher Hinsicht nicht voneinander trennen lassen.

Zutreffend nimmt das LG an, dass Beschlussklagen seit dem 1.12.2020 nach § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG gegen die GdWE zu richten sind. Die Vorschrift ist durch das am 1.12.2020 in Kraft getretene Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz an die Stelle des bisherigen § 46 Abs. 1 Satz 1 WEG a.F. getreten, wonach die Klage eines oder mehrerer Wohnungseigentümer auf Erklärung der Ungültigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümer gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten war. Werden - wie hier - in einer nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet, kann die Klage nur dann als gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet zu verstehen sein, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergibt. Für eine solche Annahme genügt nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung. Eine Beschlussanfechtungsklage, die nach dem 30.11.2020 eingeht und gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet ist, wahrt die Klagefrist gem. § 45 Satz 1 WEG nicht; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 45 Satz 2 WEG i.V.m. §§ 233 ff. ZPO kommt bei einer anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | WEG
§ 44 Beschlussklagen
Jennißen (Hrsg.), Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2022

Aufsatz:
Wohnungseigentum - Aktuelle Entwicklungen zu Eigentümerversammlung, Verwalter und Verfahren
Olaf Riecke, MDR 2023, 206

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.02.2023 14:07
Quelle: BGH online

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