Otto Schmidt Verlag

LG Frankfurt a.M. v. 2.2.2023 - 2-13 S 60/22

Zur Anfechtbarkeit von WEG-Beschlüssen während der Corona-Pandemie

Beschlüsse, die während der Corona-Pandemie auf einer sog. „Ein-Personen-Versammlung“ gefasst worden sind, auf welcher die Eigentümer nur die Möglichkeit hatten, sich vom Verwalter vertreten lassen, sind nicht nichtig. Sie können aber anfechtbar sein, ohne dass es auf eine Kausalität des Ladungsmangels ankommt.

Der Sachverhalt:
Die klagende WEG hatte von den zwei beklagten Wohnungseigentümern die Zahlung von Hausgeld verlangt. Widerklagend begehrten diese die Feststellung der Nichtigkeit der auf der Versammlung vom 23.7.2020 zu den TOP 3 bis 6 gefassten Beschlüsse, wobei mit dem Beschluss zu TOP 5 eben jener Wirtschaftsplan (Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne 2020) beschlossen worden war, auf welchen die Klägerin ihre Hausgeldforderung stützte.

Die Verwalterin hatte im Vorfeld der Einladung zur Versammlung per E-Mail am 24.4.2020 an die Wohnungseigentümer auf das einer Zusammenkunft innewohnende unkalkulierbare Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus hingewiesen, u.a. die Möglichkeit einer „Ein-Mann-Versammlung“ mit „abgespeckter“ Tagesordnung vorgestellt, wobei vom persönlichen Erscheinen dringend abgeraten wurde, und schließlich abgefragt, ob sich die Eigentümer „für eine Ein-Mann-Versammlung entscheiden“ könnten oder abwarten wollten, bis das Infektionsrisiko wieder kalkulierbar sei.

Das AG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem LG erfolglos.

Die Gründe:
Die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse sind nicht nichtig.

Ob wegen der Bezeichnung „Ein-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie“, verbunden mit der Wahl des Büros der Hausverwaltung als Versammlungsort und der vorangegangenen E-Mail, die Einladung zur Wohnungseigentümerversammlung vom 23.7.2020 einer Ausladung gleichkam, wofür einiges sprach, konnte dahinstehen, denn dies führte hier nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls können Beschlüsse wegen Ladungsmängeln zwar im Rahmen einer Anfechtungsklage für ungültig zu erklären sein, in schwerwiegenden Fällen nach der Relevanztheorie sogar unabhängig von der Frage der Kausalität, hierauf kam es aber nicht an, da eine fristgerechte Anfechtungsklage nicht erhoben worden war.

Beschlüsse wegen eines Ladungsmangels sind aber regelmäßig nicht nichtig; vielmehr sind sie nach zutreffender Auffassung des BGH grundsätzlich nur anfechtbar. Nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen führt nach der BGH-Rechtsprechung eine unterbliebene Ladung zur Nichtigkeit der in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse, etwa wenn der Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll Eine derartige Ausnahme lag hier jedoch nicht vor.

Zwar hatte der Verwalter es hier darauf angelegt, eine so bezeichnete „Ein-Mann-Versammlung“ zu veranstalten. Zweifellos sollten die Eigentümer bewegt werden, auf eine Teilnahme zu verzichten. Dieser auf alle Eigentümer gleichsam wirkende Druck allein führte entgegen der unter einigen AG verbreiteten Ansicht jedoch noch nicht zur Nichtigkeit der auf einer „Ein-Personen-Versammlung“ gefassten Beschlüsse. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Verwalter in böswilliger Absicht einzelne Eigentümer von der Teilnahme gezielt ausschließen wollte. Der Landungsmangel lag insoweit noch unterhalb der Schwelle in den vom BGH entschiedenen Fällen, in denen ein Eigentümer bewusst nicht zur Versammlung geladen wurde und in denen der BGH gleichwohl lediglich von einer Anfechtbarkeit der Beschlüsse ausging.

Die Ablehnung der Nichtigkeitsfolge war auch sachgerecht. Zu Gunsten von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hat die Nichtigkeitsfolge die Ausnahme zu bleiben. Der Eigentümer ist hinreichend durch die Möglichkeit der Anfechtbarkeit geschützt. Überdies hätte eine Nichtigkeit den praktisch nicht zu unterschätzenden Nachteil, dass auch weit nach Ablauf der Anfechtungsfrist ein Eigentümer, ohne dass es sachlicher Einwände gegen den Beschluss selbst bedürfte, sich noch auf die Nichtigkeit eines Beschlusses berufen könnte. Da damit ein wirksamer Beschluss über den Wirtschaftsplan gefasst wurde, hat die Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung des eingeklagten Betrages keinen Erfolg.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Wohnungseigentum - Aktuelle Entwicklungen zu Eigentümerversammlung, Verwalter und Verfahren
Olaf Riecke, MDR 2023, 206

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.02.2023 15:32
Quelle: LaReDa Hessen

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