Otto Schmidt Verlag

AG Köln v. 17.1.2023 - 215 C 48/22

WEG: Entnahme aus der Erhaltungsrücklage zur Bildung einer „Liquiditätsrücklage“

Eine Verweigerung der Belegeinsicht vor der Eigentümerversammlung führt nicht zur Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Es kann ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, einen Teil der Erhaltungsrücklage in eine Liquiditätsrücklage umzuwidmen, auch wenn Erhaltungsmaßnahmen anstehen, deren voraussichtliche Kosten den Betrag der vorhandenen Erhaltungsrücklage deutlich übersteigen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 20.6.2022 wurde u.a. folgender Beschluss unter Tageordnungspunkt 3 gefasst:

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die Bildung einer Liquiditätsrücklage i.H.v. 200.000 € p.a. zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft im Fall von finanziellen Engpässen auf dem gemeinschaftlichen Girokonto. Die Verwaltung ist demnach ermächtigt, im Fall von Liquiditätsengpässen auf diesen Rücklagenbetrag zuzugreifen. Um diese Summe aufzubringen, wird die bestehende Erhaltungsrücklage um den Betrag von max. 200.000 € aufgelöst und dieser Betrag der Liquiditätsrücklage zugeführt. Dieser Betrag verbleibt dauerhaft auf dem Girokonto. Die Beiratsmitglieder werden vor diesen Umbuchungen von der Verwaltung informiert.“

Diesen und andere Beschlüsse hat die Klägerin angefochten. In Bezug auf die Liquiditätsumlage behauptete sie, es sei schon eine Million Euro aus der Erhaltungsrücklage fix für die Balkonsanierung eingeplant. Mit Schriftsatz vom 26.8.2022 bot die Beklagte der Klägerin an, einen Termin zur Belegeinsicht zu vereinbaren. Die Klägerin behauptete, die ihr vor der Eigentümerversammlung – unstreitig – auf einem USB-Stick übergebenen Belege seien nicht vollständig gewesen. Zudem hätten sich manche Dokumente nicht öffnen lassen. Ordnungsgemäße Belegeinsicht sei ihr bis zur Klagebegründung nicht gewährt worden.

Das AG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die angefochtenen Beschlüsse sind aufrechtzuerhalten, weil sie ordnungsgemäßer Verwaltung, auf die nach § 18 Abs. 2 WEG jeder Eigentümer Anspruch hat, entsprechen.

Soweit teilweise vertreten wird, dass die Verweigerung der vollständigen Belegeinsicht im Vorfeld der Versammlung die Anfechtungsklage unmittelbar begründe, kann dem nicht gefolgt werden. Beschlussgegenstand sind nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEG allein die Zahlungspflichten. Ziel der Reform des Wohnungseigentumsrechts war es u.a., Streitigkeiten über die Jahresabrechnungen zu verringern. Fehler von Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung sollen deshalb unbeachtlich sein, wenn sie sich nicht auf die Zahlungspflichten auswirken. Durch die Regelungstechnik in § 28 Abs. 2 WEG, der in Satz 1 den Beschlussgegenstand und in Satz 2 die Beschlussvorbereitung behandelt, wird dies deutlich. Hiernach wäre es nicht nachvollziehbar, einen auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben sowie der Vereinbarungen und Beschlüsse der Wohnungseigentümer richtigen Beschluss nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEG für unwirksam zu erklären, nur weil im Vorfeld mangels Belegeinsicht eine nicht hinreichende Prüfung der Abrechnungsspitzen möglich war; ein entsprechender Beschluss aber, weil sachlich zutreffend, erneut gefasst werden müsste.

Der anfechtende Wohnungseigentümer wird hierdurch auch nicht unangemessen benachteiligt, denn er kann auch ohne Belegeinsicht Anfechtungsklage erheben und zunächst die Richtigkeit der Abrechnungsspitze nur pauschal bestreiten. In diesem Fall ist es an der beklagten Eigentümergemeinschaft, die Richtigkeit der Abrechnungsspitze darzulegen und zu beweisen, wobei dahinstehen kann, ob dies damit begründet werden kann, dass es einen formellen Fehler gebe, dessen Auswirkung auf das Beschlussergebnis vermutet werde, oder ob man bloß die Anforderungen an die Substantiierung der Unrichtigkeit herabsetzt und der Eigentümergemeinschaft, die Belegeinsicht rechtswidrig nicht gewährt, eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Wird dem Anfechtenden doch noch Belegeinsicht gewährt, oder legt die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits die Richtigkeit substantiiert dar, kann der anfechtende Wohnungseigentümer im Wege der Klageänderung einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend machen

Auch der Beschluss, einen Betrag von 200.000 € aus der Instandhaltungsrücklage als Liquiditätsreserve umzuwidmen, ist nicht zu beanstanden. Die Wohnungseigentümer sind nach in der älteren obergerichtlichen und der aktuellen instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Auffassung berechtigt, die Mittel der Erhaltungsrücklage umzuwidmen und sie als Betriebs- und Verwaltungsmittel zu verwenden, sofern nicht eine „eiserne Reserve“ angegriffen wird. Wie hoch eine „eiserne Reserve“ zu sein hat, soll sich dabei nicht abstrakt festlegen lassen, sondern von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Für die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses komme es deshalb zum einen auf die Höhe der vorhandenen Instandhaltungsrücklage und auf die absehbaren Instandsetzungsmaßnahmen an.

Dabei wird teilweise angenommen, dass die „eiserne Reserve“ und die angemessene Höhe der Erhaltungsrücklage i.S.d. § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG (bzw. § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG a. F.) identisch seien. Teilweise wird aber auch die Auffassung vertreten, dass insoweit Identität nicht anzunehmen sei und eine angemessene Rücklage eine „eiserne Reserve“ übersteigen könne. Von den Befürwortern dieser Ansicht wird dann aber wiederum vertreten, dass die angemessene Höhe teilweise unterschritten werden könne, wenn notwendige Betriebs- und Verwaltungsmittel kurzfristig nicht auf andere Weise erlangt werden können. Es kann aber dahinstehen, welche der jedenfalls scheinbar im Detail divergierenden Auffassungen zutrifft, denn nach dem Dafürhalten des Gerichts wird durch die geplante Entnahme weder eine „eiserne Reserve“ angetastet, noch ist die Höhe der verbleibenden Instandhaltungsrücklage unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sonst nicht mehr angemessen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Wohnungseigentum - Aktuelle Entwicklungen zu Eigentümerversammlung, Verwalter und Verfahren
Olaf Riecke, MDR 2023, 206

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.03.2023 14:53
Quelle: Justiz NRW

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