Otto Schmidt Verlag

LG Berlin v. 30.3.2023 - 67 S 270/22

Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Mieters

Der Mieter verstößt gegen die ihm gegenüber seinem Vermieter obliegende Schadensminderungspflicht, wenn er das mit einem Inkassodienstleister zur Geltendmachung von Ansprüchen aus den §§ 556 ff. BGB gegenüber dem Vermieter eingegangene und - wegen eines dem Inkassodienstleister zur Last fallenden Verstoßes gegen Vorschriften des Verbraucherschutzes - zunächst nicht wirksam zustande gekommene Vertragsverhältnis im Nachhinein bestätigt oder genehmigt, sofern erstmals durch die nachträgliche Genehmigung oder Bestätigung Vergütungsansprüche des Inkassodienstleisters für von diesem zum Zeitpunkt der Genehmigung oder Bestätigung bereits erbrachte vorgerichtliche Rechtsdienstleistungen begründet werden.

Der Sachverhalt:
Die von der Mieterin der streitgegenständlichen Wohnung auf elektronischem Wege beauftragte Klägerin hat als Inkassodienstleisterin aus abgetretenem Recht Ansprüche der Mieterin wegen eines angeblichen Verstoßes der beklagten Vermieterin gegen die Vorschriften über die preisrechtlich zulässige Höhe der Miete (§§ 556d ff. BGB) geltend gemacht. Die Beauftragung der Klägerin war über eine Schaltfläche erfolgt, die weder gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ noch mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet gewesen war.

Das LG hat das Verfahren im Berufungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO ausgesetzt, weil die Berufung entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung von Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2011/83/EU des EU-Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der RL 93/13/EWG des Rates und der RL 1999/44/EG des EU-Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der RL 85/577/EWG des Rates und der RL 97/7/EG des EU-Parlaments aufwirft. Diese liegen dem EuGH bereits aufgrund des Vorlagebeschlusses der Kammer vom 2.6.2022 (67 S 259/21), zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH führt das Vorabentscheidungsverfahren unter dem Gz. C-400/22.

Die dortige Vorlagefrage ist auch im Streitfall entscheidungserheblich, da ein Verstoß der Klägerin gegen die hier in Frage stehende nationale Vorschrift des § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB gem. § 312j Abs. 4 BGB zur Folge hätte, dass ein im elektronischen Rechtsverkehr geschlossener und für die Aktivlegitimation der Klägerin konstitutiver Verbrauchervertrag nicht „zu Stande“ gekommen wäre. Wäre die Klägerin hingegen aktivlegitimiert, hätte ihre Klage jedenfalls teilweise Erfolg.

Die Gründe:
Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung der genannten nationalen Vorschriften hängt von der Auslegung der bereits zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens erhobenen Richtlinie ab. Diese Auslegung obliegt, da es sich insoweit um keinen „acte claire“ oder „acte éclairé““ handelt, nicht den nationalen Gerichten, sondern allein dem EuGH. Die nationalen Gerichte sind nicht befugt, das Prüfungsmonopol des EuGH durch die Anlegung eines zu großzügigen Maßstabs an das Vorliegen eines „acte claire“ zu unterlaufen.

Die Vorlagefrage wäre selbst im Falle der wirksamen nachträglichen Genehmigung oder Bestätigung auch weiterhin entscheidungserheblich. Denn sie ist jedenfalls für den im Wege der Abtretung geltend gemachten Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten von Belang. Sollte die Beauftragung der Klägerin vor der Genehmigung oder Bestätigung wegen Verstoßes gegen § 312j Abs. 3 BGB unwirksam oder schwebend unwirksam gewesen sein, würde sich die nachträgliche Genehmigung oder Bestätigung durch die Mieterin für von der Klägerin bereits erbrachte Dienstleistungen, die nunmehr erstmals vergütungspflichtig würden, als Verstoß gegen ihre aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB erwachsende Schadenminderungspflicht gegenüber der Beklagten als Vermieterin ihrer Wohnung darstellen.

Denn ein Rechtsanspruch der Klägerin gegenüber der Mieterin auf nachträgliche Genehmigung oder Bestätigung für bereits unter Verstoß gegen grundlegende Vorschriften des Verbraucherschutzes erbrachte Dienstleistungen bestand unter keinem denkbaren rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt. Davon ausgehend hätte jeder vernünftig und wirtschaftlich denkende Verbraucher nach Lage der Dinge eine über die Abtretung als solche hinausgehende nachträgliche Genehmigung oder Bestätigung vorgerichtlicher Zahlungsverpflichtungen unterlassen, um den Schaden auf diese Weise abzuwenden oder zu mindern.

Insofern verstößt der Mieter gegen die ihm gegenüber seinem Vermieter obliegende Schadensminderungspflicht, wenn er das mit einem Inkassodienstleister zur Geltendmachung von Ansprüchen aus den §§ 556 ff. BGB gegenüber dem Vermieter eingegangene und - wegen eines dem Inkassodienstleister zur Last fallenden Verstoßes gegen Vorschriften des Verbraucherschutzes - zunächst nicht wirksam zustandegekommene Vertragsverhältnis im Nachhinein bestätigt oder genehmigt, sofern erstmals durch die nachträgliche Genehmigung oder Bestätigung Vergütungsansprüche des Inkassodienstleisters für von diesem zum Zeitpunkt der Genehmigung oder Bestätigung bereits erbrachte vorgerichtliche Rechtsdienstleistungen begründet werden.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.04.2023 15:20
Quelle: Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank

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