Otto Schmidt Verlag

BGH v. 23.3.2023 - V ZR 97/21

Nachbarstreit über die Kosten für eine statische Dachertüchtigung

Das Abprallen von Schnee an einer baurechtlich genehmigten Grenzwand stellt zwar wie eine von einer Grenzbebauung ausgehende Lichtreflexion eine positive Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar, beeinträchtigt es aber regelmäßig nur unwesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb angezeigt, weil das Dach des auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung bedarf.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das an der Grenze zum Nachbargrundstück des Beklagten mit einem eingeschossigen Tankstellengebäude bebaut ist. Der Beklagte hatte 2016/2017 auf seinem Grundstück direkt angrenzend an das Tankstellengebäude und unmittelbar neben dem dort bereits vorhandenen Bestandsgebäude ein mit einem Flachdach versehenes Zweifamilienhaus errichtet, welches das Flachdach des Tankstellengebäudes - ebenso wie bereits das Bestandsgebäude - um mehr als 0,5 m überragt. Die Klägerin machte geltend, wegen des unmittelbar angrenzenden mehr als 0,5 m höheren Neubaus des Beklagten müsse das Dach des Tankstellengebäudes nach nunmehr einschlägigen DIN-Vorschriften mit einem Aufwand von 53.317 € durch den Einbau einer zusätzlich tragenden Ebene in die Decke statisch ertüchtigt werden, um den veränderten Schneelastanforderungen infolge des von dem Neubau abprallenden Schnees zu entsprechen.

Das LG hat die u.a. auf Kostenersatz gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung bestätigt. Und auch die zugelassenen Revision der Klägerin vor dem BGH blieb erfolglos.

Gründe:
Das Berufungsgericht hat die Berufung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Ein Ausgleichsanspruch ergab sich nicht aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Danach kann der Eigentümer, der nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB eine wesentliche Immission i.S.v. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dulden hat, einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung die ortsübliche Nutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch ist unter anderem eine von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zählen allerdings sog. negative Einwirkungen nicht zu den abwehrfähigen Einwirkungen i.S.v. § 906 BGB. Diese werden durch eine Nutzung des Nachbargrundstücks verursacht, die sich auf dessen Fläche beschränkt und das betroffene Grundstück nur mittelbar beeinträchtigt. So stellt das Abhalten von Wind durch ein Gebäude keine unzulässige Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar. Auch die Abschattung von Funkwellen durch ein Hochhaus hat der Senat ebenfalls als nicht von § 906 BGB erfasste negative Einwirkung angesehen.

Die Unterscheidung zwischen negativen und positiven Einwirkungen ist auf Kritik gestoßen. Da erstere den Eigentümer mindestens genauso beeinträchtigen könnten wie letztere, seien negative Einwirkungen den positiven jedenfalls dann gleichzustellen, wenn sie zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führten. Auch wird auf Abgrenzungsschwierigkeiten verwiesen. Jedenfalls müsse für bestimmte Fallgruppen die Einordnung als negative Immission überdacht werden. Richtigerweise ist jedenfalls das Abprallen von Schnee an einem auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäude als positive Einwirkung i.S.v. § 906 BGB einzuordnen. In Rechtsprechung und Literatur ist auch anerkannt, dass zu den positiven Einwirkungen auch die eine Blendung verursachende Reflexion von Licht durch Photovoltaikanlagen oder glasierte Dachziegel zählt.

Der Klägerin stand gleichwohl kein Ausgleichsanspruch zu, weil von dem Neubau des Beklagten abprallender Schnee die Benutzung des Grundstücks der Klägerin nur unwesentlich i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB beeinträchtigt. Eine andere Beurteilung war auch nicht deshalb angezeigt, weil das Dach des auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung bedarf. Die Errichtung des Neubaus auf der Grundstücksgrenze ist ferner von einer Baugenehmigung gedeckt. Zwar hat die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung keinen Einfluss auf das Bestehen von Ansprüchen aus § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 906 BGB. Gleichwohl fehlt es bei einer zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks in aller Regel an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks, da sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.05.2023 10:40
Quelle: BGH online

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