Otto Schmidt Verlag

BGH v. 10.2.2023 - V ZR 246/21

Inhaltsgleicher Zweitbeschluss der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer

Nachdem ein Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist, darf ein im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss nur dann gefasst werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass dieses Vorgehen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht; das kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn der in dem Vorprozess benannte Beschlussmangel behoben worden ist oder wenn sich die darauf bezogenen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände geändert haben. Ist ein Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein anschließend gefasster und im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht.

Der Sachverhalt:
Die Parteien bilden eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus mehreren Wohnblöcken. Zur Versorgung mit Warmwasser und Heizenergie gibt es in der Anlage zwei Heizzentralen (Heizkreise), wobei die zentrale Anlage zur Versorgung mit Wärme jeweils mit der zentralen Warmwasserversorgungsanlage verbunden ist (im Folgenden: verbundene Anlage). In den Jahren 2016 bis 2018 war kein Wärmemengenzähler für die auf die zentrale Warmwasserversorgungsanlage entfallende Wärmemenge installiert; die Installation erfolgte erst im Januar 2019. In zwei Vorprozessen erklärte das AG Beschlüsse über die Jahresabrechnungen 2016 und 2017 hinsichtlich der Genehmigung der Heizkostenabrechnung sowie bzgl. einer "Unterlassungserklärung gegen widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge" für ungültig. Die Entscheidungen haben Rechtskraft erlangt.

In der Eigentümerversammlung am 27.6.2019 wurden unter TOP 3 Beschlüsse über die Abrechnungen für die Jahre 2016 und 2017 gefasst, die im Hinblick auf die Heizkostenabrechnung inhaltsgleich mit den für ungültig erklärten Beschlüssen waren. Zudem wurde unter TOP 3 die Abrechnung für 2018 beschlossen. Die auf die zentrale Warmwasserversorgung entfallende Wärmemenge wurde jeweils nach der Gleichung des § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 HeizkostenV bestimmt. Des Weiteren wurde unter TOP 8 ein Beschluss über eine "Unterlassungserklärung gegen widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge" gefasst.
Mit der Beschlussmängelklage will der Kläger - soweit noch von Bedeutung - erreichen, dass der Beschluss zu TOP 3 hinsichtlich der Genehmigung der Heizkostenabrechnungen sowie der Beschluss zu TOP 8 insgesamt für ungültig erklärt werden.

Das AG gab der Klage statt; das LG wies sie ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der von dem LG gegebenen Begründung kann die Anfechtungsklage im Hinblick auf die Heizkostenabrechnungen für die Jahre 2016 und 2017 unter TOP 3 nicht abgewiesen werden.

Zu der Frage, welche Auswirkungen es auf eine erneute Beschlussfassung hat, dass ein vorheriger Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist, zeigt sich ein disparates Meinungsbild. Nach Auffassung des Senats darf, nachdem ein Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist, ein im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss nur dann gefasst werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass dieses Vorgehen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht; das kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn der in dem Vorprozess benannte Beschlussmangel behoben worden ist oder wenn sich die darauf bezogenen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände geändert haben.

Ist ein Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein anschließend gefasster und im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht; nur wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nachweist, dass besondere Umstände die zweite Beschlussfassung erlaubten, ist die Vermutung erschüttert, so dass das Gericht die gerügten Beschlussmängel in der Sache prüfen kann. Wird ein nach diesen Maßstäben unzulässiger Zweitbeschluss gefasst, hat dies nicht die Nichtigkeit des Beschlusses, sondern in der Regel lediglich dessen Anfechtbarkeit zur Folge. Weil das LG - von seinem Ausgangspunkt folgerichtig - Feststellungen zu den Beschlussmängeln, die dazu geführt haben, dass die Beschlüsse im Vorprozess für ungültig erklärt worden sind, nicht getroffen hat, konnte das Urteil keinen Bestand haben.

Auch die Abweisung der Anfechtungsklage bzgl. der Heizkostenabrechnung für das Jahr 2018, die nicht Gegenstand der Vorprozesse war, ist von Rechtsfehlern beeinflusst. Dass diese Heizkostenabrechnung mit dem Grundsatz ordnungsmäßiger Verwaltung vereinbar ist, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht bejaht werden. Ist in einer Wohnungseigentumsanlage mit einer verbundenen Anlage die auf die zentrale Warmwasserversorgungsanlage entfallende Wärmemenge entgegen § 9 Abs. 2 Satz 1 HeizkostenV nicht mit einem separaten Wärmemengenzähler erfasst worden, entspricht die Abrechnung der Heizkosten in der Regel ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die auf die zentrale Warmwasserversorgungsanlage entfallende Wärmemenge anhand der Formel des § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 HeizkostenV ermittelt wird; in Ausnahmefällen kann eine derartige Abrechnung gleichwohl ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen, und zwar dann, wenn die Anwendung der Formel dazu führt, dass das tatsächliche Nutzerverhalten im Einzelfall nicht wenigstens annähernd abgebildet wird.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | WEG
§ 18 Verwaltung und Benutzung
Sommer/Heinemann in Jennißen (Hrsg.), Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2022

Kommentierung | WEG
§ 19 Regelung der Verwaltung und Benutzung durch Beschluss
Sommer/Heinemann in Jennißen (Hrsg.), Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2022

Kommentierung | WEG
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Suilmann in Jennißen (Hrsg.), Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2022

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.05.2023 14:44
Quelle: BGH online

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