Otto Schmidt Verlag

BGH v. 22.3.2024 - V ZR 81/23 u.a.

Zur Zulässigkeit von Beschlüssen der Wohnungseigentümer zur Änderung der Kostentragung für Erhaltungsmaßnahmen

Der BGH hat auf Grundlage des im Jahr 2020 reformierten Wohnungseigentumsrechts in zwei Verfahren über die Voraussetzungen entschieden, unter denen die Wohnungseigentümer für Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum eine von der bisherigen Kostenverteilung abweichende Kostentragung zulasten einzelner Wohnungseigentümer beschließen können.

Der Sachverhalt:

+++ V ZR 81/23 +++
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Teileigentümer von vier sog. Doppelparkern. Aufgrund eines Defekts der (im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden) Hebeanlage kann in den Doppelparkern nur jeweils ein Fahrzeug abgestellt werden. Im Juni 2021 beschlossen die Wohnungseigentümer eine Änderung der Kostenverteilung, nach der die Kosten für eine Sanierung und Reparatur der (im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Teile der) Doppelparker nicht mehr wie bisher von allen Wohnungseigentümern, sondern ausschließlich von den Teileigentümern der insgesamt zwanzig Doppelparker gemeinschaftlich zu tragen sind. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Anfechtungsklage.

AG und LG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

+++ V ZR 87/23 +++
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Eigentümer einer Wohnung im Dachgeschoss. Im August 2021 fassten die Wohnungseigentümer in einer Eigentümerversammlung den Beschluss, die (im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden) defekten Dachflächenfenster im Bereich des Sondereigentums des Klägers auszutauschen und dazu eine Fachfirma zu beauftragen. Weiter beschlossen sie, dass der Kläger - abweichend von der bisherigen Regelung - die Kosten des Fensteraustauschs allein tragen solle. Mit seiner Anfechtungsklage wendet sich der Kläger gegen die beschlossene Kostenverteilung.

AG und LG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:

+++ V ZR 81/23 +++

Der Beschluss über die Verteilung der für die Doppelparker anfallenden Kosten ist weder nichtig noch anfechtbar.

Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG haben Wohnungseigentümer die Möglichkeit, für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel oder von einer Vereinbarung abweichende Verteilung zu beschließen. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht gilt dies auch dann, wenn dadurch der Kreis der Kostenschuldner verändert wird, indem Wohnungseigentümer von der Kostentragung gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden. Dieses im Vergleich zur vorherigen Rechtslage weite Verständnis ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut und steht mit dem gesetzgeberischen Ziel der Regelung in Einklang.

Der Beschluss entspricht auch ordnungsmäßiger Verwaltung. Bei Änderungen des Umlageschlüssels ist den Wohnungseigentümern aufgrund des Selbstorganisationsrechts der Gemeinschaft ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Beschließen die Wohnungseigentümer für einzelne Kosten oder Kostenarten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Änderung der bisherigen Verteilung, so dürfen sie jeden Maßstab wählen, der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führt. Werden Kosten von Erhaltungsmaßnahmen, die nach dem zuvor geltenden Verteilungsschlüssel von allen Wohnungseigentümern zu tragen sind, durch Beschluss einzelnen Wohnungseigentümern auferlegt, entspricht dies - wie schon nach § 16 Abs. 4 WEG a.F. - jedenfalls dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die beschlossene Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtigt.

Demzufolge ist der vorliegende Beschluss nicht zu beanstanden. Durch die getroffene Regelung werden nur die Teileigentümer der Doppelparker mit Kosten belastet, die - im Gegensatz zu den übrigen Wohnungseigentümern - auch einen Nutzen aus der Erhaltung des Gemeinschaftseigentums an den Doppelparkern ziehen und denen die Erhaltung des Gemeinschaftseigentums wirtschaftlich zugutekommt. Das Rückwirkungsverbot gebietet hier ebenfalls keine andere Beurteilung. Bei typisierender Betrachtung konnten die Teileigentümer nicht darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Öffnungsklauseln dauerhaft unverändert bleiben und die Mehrheitsmacht nicht erweitert wird. Vielmehr muss mit Änderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen grundsätzlich gerechnet werden.

+++ V ZR 87/23 +++
Der Beschluss, für den gem. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG die Beschlusskompetenz bestand, entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung. Er berücksichtigt im Hinblick auf die allein im Bereich des Sondereigentums des Klägers befindlichen Dachflächenfenster die Gebrauchsmöglichkeit des Klägers.

Der Beschluss entspricht auch insoweit ordnungsmäßiger Verwaltung, als die Wohnungseigentümer allein über die Kostentragung für den Austausch der Dachflächenfenster im Bereich des Sondereigentums des Klägers entschieden haben, ohne zugleich eine Regelung für die Behandlung künftiger gleich gelagerter Fälle zu treffen. Ob die sog. "Maßstabskontinuität" nach der Neufassung des Wohnungseigentumsrechts schon bei dem ersten Beschluss über die Kosten einer einzelnen Erhaltungsmaßnahme berücksichtigt werden muss, war umstritten.

Der BGH hat dies verneint und nun entschieden, dass dann, wenn die Wohnungseigentümer nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WEG eine Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme beschließen, nicht zugleich eine entsprechende Regelung für alle künftigen gleich gelagerten Fälle beschlossen werden muss. Dies ergibt sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm. Eine andere Betrachtung ist auch nicht im Hinblick auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz der Wohnungseigentümer geboten. Ob und in welcher Art und Weise in Folgebeschlüssen die zuvor für eine einzelne Instandsetzungsmaßnahme beschlossene Änderung der Kostenverteilung zu berücksichtigen ist, kann nämlich nicht hypothetisch für künftige Fälle beurteilt werden, sondern nur für eine konkrete Maßnahme oder einen bereits gefassten, konkreten Beschluss.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | WEG
§ 16 Nutzungen, Lasten und Kosten
Jennißen in Jennißen, WEG, Kommentar, 8. Auflage
8. Aufl./Lfg. 10.2023

Rechtsprechung (Vorinstanz in der Rechtssache V ZR 87/23):
Änderung eines Kostenverteilungsschlüssels
LG Frankfurt/M. vom 15.12.2022 - 2-13 S 20/22
Hendrik Schultzky, MietRB 2023, 137
MIETRB0054570

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.03.2024 15:06
Quelle: BGH PM Nr. 69 vom 22.3.2024

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